Heidrun Halbwirth und Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle, der ihr zu ihrer Erfindung eines umweltverträglichen Wirkstoffs gegen die Pflanzenkrankheit Feuerbrand gratuliert.

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Gesunde (li.) und durch den Feuerbrand geschädigte Apfelblüten.

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Die Chemikerin im Labor. Das Interesse an ihrem Fach und ihrer Forschung schätzt sie als "sehr groß" ein. MaturantInnen rät sie, auch einmal in die MINT-Fächer hineinzuschnuppern, denn "Chemie in der Schule ist anders als auf der Uni".

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Wer das Büro von Heidrun Halbwirth am Institut für Verfahrenstechnik, Umwelttechnik und Technische Biowissenschaften der Technischen Universität Wien finden will, den wird der Weg zuerst einmal am Labor vorbeiführen. Vorbei an Labortischen, Reagenzgläsern, Versuchsapparaturen und Chemikalien.

Forschungsatmosphäre, zum Anfassen nahe, so dass selbst sonst gänzlich chemieuninteressierte Besucherinnen in die Versuchung kommen, einmal Notizblock und Diktiergerät gegen den Laborkittel einzutauschen. Wer aber denkt, dass Halbwirth den ganzen Tag im Labor steht, der irrt. "Ich arbeite sehr viel am Schreibtisch. Alles, was nicht gerade Forschung ist, ist dann halt Antragschreiben." Das Schreiben von Anträgen bezeichnet sie als eine ihrer Haupttätigkeiten.

Gerangel um Förderungstöpfe

Das Jonglieren zwischen Schreibtisch- und Laborarbeit ist für Halbwirth zwar eine willkommene Abwechslung, aber auch "ein Haufen Arbeit". Monatelang wird dann an Projektanträgen und der Projektplanung gefeilt, oft bis zu ein halbes Jahr lang, um die Chancen auf die Bewilligung und den Erhalt von Forschungsgeldern zu erhöhen. "Es wird generell immer schwieriger, Forschungsgelder zu kriegen", sagt Halbwirth. "Erstens gibt es immer weniger Töpfe, und die wenigen Töpfe, die es gibt, die sind weniger beschickt, und alle müssen sich dann halt um die wenigen Töpfe raufen."

Auch die MINT-Fächer rund um die Fachgebiete Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik seien von Kürzungen bei den Forschungsgeldern betroffen. "Ein hohes Maß an Frustrationstoleranz" sei daher auch im Forschungsalltag gefragt, vor allem wenn es um das bürokratische Prozedere beim Antragstellen geht.

Selbstfinanzierung

Forschungsprojekte sind auch immer mit Unsicherheit verbunden. "Bei uns am Institut gibt es sehr viele erfolgreiche, hoch qualifizierte 'Drittmittel-Frauen' und Elise-Richter-Stipendiatinnen, die vor demselben Problem stehen wie ich, nämlich sich selbst zu finanzieren", sagt Halbwirth. Beklagen will sie sich aber nicht, schließlich mache sie das, "was ich immer machen wollte", und habe viel Spaß dabei.

Dennoch: Die Ungewissheit, ob das nächste Projekt finanziert wird, können auch die vielen Preise nicht wettmachen, die Halbwirth schon eingeheimst hat. Darunter war etwa eine Silbermedaille bei der Korea International Women's Invention Exposition (KIWIE) im Vorjahr für die Erfindung eines natürlichen, umweltverträglichen Wirkstoffs gegen die Pflanzenkrankheit Feuerbrand. Halbwirth ist zwar dankbar für die Auszeichnungen, brüstet sich aber nicht mit den Preisen. "Außer mit Ehre und einer tollen, bunten Medaille ist es mit nichts verbunden, das sich auf den Forschungsalltag auswirken würde", so die zweifache KIWIE-Preisträgerin.

Grundlagenforschung

Auf den umweltverträglichen Wirkstoff sind sie und ihr Forschungsteam "zufällig" gestoßen. Eigentlich ging es um das Testen von Wachstumsregulatoren für Apfelbäume, wobei sich herausstellte, dass die getesteten Einzelblüten auch resistenter gegen Feuerbrand sind. "Die Erfindung hat sich eigentlich aus einem Grundlagen-Forschungsprojekt mit einer anderen Fragestellung entwickelt, da ging es um eine ganz grundlegende biochemische Fragestellung", sagt Halbwirth. Das komme im Forschungsalltag öfter vor, als der Laie annehme, so die Chemikerin.

Für Halbwirth ist die Grundlagenforschung immer noch sehr wichtig, etwas besorgt ist sie deshalb angesichts der vermehrten Förderung der angewandten Forschung zum Nachteil der Grundlagenforschung. "Denn Grundlagenforschung ist die Voraussetzung", sagt Halbwirth, "man kann nie wissen, was man daraus lernen und wofür man das anwenden kann."

Über Umwege zur Chemie

Auf ihr Forschungsgebiet, die Phytochemie, ist sie ebenfalls zufällig gestoßen - über eine spannende Wahlfach-Vorlesung. Für Halbwirth war es daher keine große Frage, nach der Diplomarbeit auch ihre Dissertation auf diesem Gebiet zu verfassen. Dabei war Chemie gar nicht ihr Lieblingsfach in der Schule, "auch wegen der Lehrerin", Physik, Mathematik und Biologie schon eher. Dennoch: Forscherin zu werden war nicht gerade der Kindheitstraum von Heidrun Halbwirth. "Ich hatte keinen Chemiebaukasten als Kind", erzählt sie, und selbst als Oberstufen-Gymnasiastin im neusprachlichen Zweig dachte sie zunächst nicht an eine Karriere in den Naturwissenschaften.

Nach der Matura studierte Halbwirth zuerst ein Semester vergleichende Literaturwissenschaft und Finno-Ugristik. "Aber das hat nicht meinen Vorstellungen entsprochen." Die Entscheidung, auf Technische Chemie umzusatteln, lag nahe, weil sie Lebensmittelchemie besonders interessierte und ihr die breite Ausrichtung des Studiums sehr zusagte: "Man hat eine allgemeine Grundausrichtung und kann sich dann spezialisieren von der Biochemie und der Lebensmittelzusammensetzung bis hin zur Erdölchemie und der Forschung nach alternativen und nachhaltigen Rohstoffen."

"Interesse ist das Wichtigste"

Welches Rüstzeug man als Forscherin und für eine Karriere in den Naturwissenschaften mitbringen muss? "Interesse daran ist eigentlich das Wichtigste, rundherum muss man schon langsam ein Allrounder sein, es ist nicht schlecht, wenn man Fremdsprachen kann, weil die ganze Fachliteratur auf Englisch ist und man viele internationale Projekte hat", so Halbwirth. Auch Managementqualitäten seien für den Alltag zwischen Laborarbeit, Antragschreiben und Publizieren von Fachartikeln gefragt. Mit einem hohen Arbeitspensum muss man ebenfalls rechnen. Im Schnitt 60 Stunden pro Woche sind es bei Halbwirth.

Hinzu kommt, dass sie regelmäßig Lehrveranstaltungen abhält, ohne Bezahlung, "in meiner Freizeit". Denn bei Drittmittel-Forschern ist Lehre nicht vorgesehen und wird auch nicht vergütet. Dennoch, Hauswirth will das Lehren im Rahmen von Blockveranstaltungen, wenn den Studierenden die Laborräumlichkeiten zur Verfügung gestellt werden, in denen sonst Halbwirth und ihr Team forschen, nicht missen. Sie mag es, den Studierenden "authentische Forschung" nahezubringen.

"Drittmittel-Frauen"

Dass der Forschungsalltag ohne Universitätsstelle, also als Drittmittel-Personal, von großer Ungewissheit geprägt ist, wird sich in den nächsten Jahren wohl nicht ändern. Projektstellen wie die von Heidrun Halbwirth sind an externe Fördergelder gebunden. "Drittmittel-Forscher sind wie Selbstständige, die das eigene Gehalt oder das der Forschungsgruppe aufbringen müssen", erklärt Halbwirth. Da könne es schon sehr anstrengend sein, "wenn man in der Luft hängt und darauf wartet, ob man im nächsten Monat ein Gehalt hat".

Zu Beginn ihrer wissenschaftlichen Karriere, vor rund 15 Jahren, gab es laut Halbwirth größere Planbarkeit und damit Sicherheit: "Da hat man sich nach der Bewilligung des Erstantrags, den man ein halbes Jahr vorher eingereicht hat, auf die Fortsetzung der Finanzierung verlassen können." Heute müsse man schon nach zwei Dritteln der Forschungszeit anfangen, wieder Forschungsgelder zu beantragen. Für Halbwirth ein "Zeitverzögerungsspiel", mit dem viel Zeit, die für das Forschen selbst gebraucht würde, verloren geht. Halbwirth war selbst nahe daran, sich vor Weihnachten "in die Arbeitslose zu entlassen" - aber dann hat es letztendlich doch geklappt mit der Finanzierung. (Güler Alkan, derStandard.at, 11.4.2012)