Forschung in Südostasien stellt den kommerziellen Nutzen in den Mittelpunkt. "Ich habe das Wissenschaftsministerium mit aufgebaut. Das wäre sicher nicht möglich gewesen, ohne angewandte Forschung und Technologie in den Mittelpunkt zu stellen."

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Reisanbau: Wettbewerb, weil alle das Gleiche tun.

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Markus Böhm hat ihn in Bangkok getroffen.

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STANDARD: Wie stark ist die Konkurrenz innerhalb der ASEAN?

Yongyuth Yuthavong: Zumindest auf dem Papier gibt es Zusammenarbeit. ASEAN will bis 2015 enger zusammenrücken, es will eine ökonomische Gemeinschaft werden, was Wissenschaft und Technologie mit einschließt. Außerdem soll der Arbeitsmarkt frei zugänglich sein. In der Praxis sind wir immer noch Wettbewerber, weil wir quasi die gleichen Dinge tun. Wir exportieren Gummi, Reis, Obst und Gemüse. Ich hoffe, dass wir eine gute Balance zwischen Wettbewerb und Zusammenarbeit finden werden.

STANDARD: Gibt es Bedenken wegen Indien und China?

Yuthavong: ASEAN kam aus politischen Gründen zustande. Es gab sehr viele äußere Feinde - etwa die Kommunisten oder China. Letzteres wird nicht mehr als Bedrohung wahrgenommen, sondern als Partner. Zusammen sind wir rund 600 Millionen Menschen. Mit dieser Zahl im Hintergrund können wir mit Indien und China auf Augenhöhe reden. Das ist ein guter Grund, um zusammenzubleiben. Was Wissenschaft und Technologie betrifft, geht es vor allem um Zusammenarbeit. Wissenschaft ist gut für die Diplomatie. Im Gegensatz zur Wirtschaft wird darüber selten gestritten.

STANDARD: In welchen Forschungsbereichen sollte es eine stärkere Kooperation geben?

Yuthavong: Sicherlich im Gesundheitsbereich, ganz besonders im Energiebereich. Während Malaysia und Indonesien einen Energieüberschuss haben, muss Thailand Energie importieren. Bildung ist ebenfalls wichtig, dieses Thema ist größer als Wissenschaft und Forschung. Obwohl wir diesem Bereich viel Aufmerksamkeit widmen, ist es noch lange nicht so viel, wie das die Chinesen oder die Koreaner tun. Wenn sich einmal die Menschen in ASEAN frei bewegen können, werden wir sehen, dass gut ausgebildete Menschen mehr bewegen können. Möglicherweise suchen sich gut ausgebildete Thais bessere Jobs.

STANDARD: Fürchten Sie einen Braindrain innerhalb ASEAN?

Yuthavong: Der ist bereits im Gange. Einige gute Leute arbeiten momentan in Singapur.

STANDARD: Wie kann die Zusammenarbeit mit der EU aussehen?

Yuthavong: Wir sollten den Austausch von Menschen fördern. Wir haben sicher nicht genug Geld, um europäische Forscher anzulocken. Deshalb bin ich dafür, dass wir junge Leute nach Europa schicken. Wenn beispielsweise ein deutscher Forscher nach Thailand kommt, dann würde er von Deutschland bezahlt werden müssen - realistischerweise. Was wir von Europa brauchen, ist Grundlagenwissen. Europa ist wie ein alter, weiser Mensch mit viel Erfahrung, von dem wir viel lernen können. Schließlich respektieren die Thais die Älteren sehr. Auch in den Ingenieurswissenschaften könnten wir Hilfe gebrauchen.

STANDARD: Wird Grundlagenforschung jetzt forciert?

Yuthavong: Kaum. Die meisten Bemühungen gehen in Richtung angewandter Forschung. Es geht um den kommerziellen Nutzen der Forschung. Einige meinen, dass Thailand lieber das Know-how importieren sollte. Es ist schwierig, den Leuten beizubringen, dass wir das gesamte Spektrum benötigen. Ich habe das Wissenschaftsministerium mit aufgebaut. Das wäre sicher nicht möglich gewesen, ohne angewandte Forschung und Technologie in den Mittelpunkt zu stellen. Ich bin überzeugt, dass das der richtige Weg ist. Wir brauchen aber auch Grundlagenforschung, wenn auch in geringerem Ausmaß: Zehn bis 20 Prozent sollten reichen. Manche sind der Meinung, wir brauchen sie überhaupt nicht.

STANDARD: Auf welchem Gebiet sehen Sie die größten Schwächen?

Yuthavong: In Physik und Mathematik zum Beispiel sind wir immer noch schwach. Die hellsten Köpfe gehen in die Medizin. Die weniger Hellen machen Physik und die Schlechtesten Mathematik - ist das zu fassen? Wir haben gute Ärzte, auch Ingenieure werden mehr. Vor ungefähr dreißig Jahren brachten wir unsere ersten PhDs hervor. Aber es sind heute nicht mehr als 500 pro Jahr. Für ein Land dieser Größe müssten es fünf- bis zehnmal mehr sein.

STANDARD: Welche Rolle spielt die Regierung?

Yuthavong: Wie in anderen Entwicklungsländern ist der private Sektor in Sachen Forschung eher schwach ausgeprägt, daher muss der Staat einspringen. Der private Sektor beschränkt sich meist auf Qualitätskontrolle und kleinere Verbesserungen hier und da, macht aber keine echte F&E im eigentlichen Sinn - obwohl es einen leichten Anstieg gibt.

STANDARD: Wie viel gibt der Staat für F&E aus?

Yuthavong: Es sind rund 0,15 Prozent des BIP pro Jahr, der private Sektor kommt auf 0,1 Prozent. Also sehr wenig. Wir streben das Zehnfache an. 0,25 Prozent sind es jetzt - daran hat sich in den letzten 20 Jahren nichts geändert. Die letzte Regierung hat angekündigt, die Ausgaben auf rund einen Prozent zu heben. Die jetzige Regierung möchte sogar auf zwei Prozent kommen. Aber ich sehe noch keine Anzeichen dafür, vor allem nach der letzten Flutkatastrophe.

STANDARD: Wie viel ist realistischerweise zu erwarten?

Yuthavong: Es wird einen Anstieg geben, aber ich wäre überrascht, wenn es sich in fünf Jahren mehr als verdoppeln würde. 0,5 Prozent wäre ein großer Fortschritt. Glücklicherweise wächst die Wirtschaft, aber bedingt durch die Flut nur um 1,5 Prozent. In normalen Jahren kann man mit mindestens fünf Prozent rechnen. Indonesiens Wirtschaftswachstum war sogar noch höher. Ganz ehrlich: Ich würde nervös werden, näherten sich die Forschungsausgaben zwei Prozent an.

STANDARD: Wieso?

Yuthavong: Weil wir nicht genügend Forscher haben. Wir können nicht die zehnfache Anzahl an Forschern produzieren, das ist unmöglich. Selbst wenn das Geld in neues Equipment fließt. Es gibt rund 20.000 US-Dollar pro Kopf und Jahr für Forschung, das Gehalt nicht mit eingerechnet. In anderen Ländern geht man sicherlich von einer zehnmal höheren Zahl aus. Korea etwa gibt 500.000 Dollar pro Kopf aus, da können wir noch nicht mithalten. (Markus Böhm, DER STANDARD, 4.4.2012)