Dieser Tage musste ich mich mit einer Petition beschäftigen, die mir schwer im Magen liegt. SOS Mitmensch fordert "Stopp dem falschen Gerede vom Migrationshintergrund" und richtet sich damit unter anderem an Sebastian Kurz und den von ihm auch tatkräftig angeheizten Diskurs von Integration durch Leistung.

Die Petition kritisiert, dass Menschen aufgrund willkürlicher Bezugspunkte in ihrem Leben auseinanderdividiert werden, dass von den einen Leistungsnachweise verlangt werden und von den anderen nicht. Der Mensch mit Migrationshintergrund sei der neue "Tschusch", es brauche eine neue Politik. Von einer Gesellschaftskritik erwarte ich mir aber auch greifbarere Faktoren als nur "unheimlich nervig" oder "falsch".

Auffällig ist allerdings, dass diese Petition von vielen Menschen unterstützt wird, die nicht in das klassische Bild des Tschuschen passen. Alexander Pollak war zwar enormen Anfeindungen vonseiten der FPÖ, besonders in der Nachbereitung der Demonstrationen gegen den WKR-Ball, ausgesetzt, der Jugo vom Bau ist er deshalb noch lange nicht.

So findet auch Julya Rabinowich, Erstunterzeichnerin und von der Edition Exil geförderte Autorin, die sich in ihrem ersten Buch mit ihrer eigenen Migrationserfahrung beschäftigt hat: "Ich habe mich nie als Migrantin wahrgenommen. Die Politik betreibt Missbrauch mit dem Thema. 'Migrant' und 'Migrationshintergrund' sind die neuen Worte für 'Tschusch'. Ich fühle mich allerdings nicht als Opfer, denn ich gehöre zu denen, die es sich leisten können, das abzustreifen."

Der Kampf um Teilhabe in dieser Gesellschaft ist nicht nur notwendig, sondern wird erfolgreich und durch verschiedene Wege bestritten. "Opfer" will kein Mensch sein. Und dass in ausnahmslos allen Parteien ein durchaus rassistischer Diskurs verbreitet ist, ist nicht zu leugnen.

Mit dem Begriff "Migrationshintergrund" werden üble Spiele betrieben. Das beginnt bei einem gut gemeinten Kulturrelativismus, der leicht in Menschenverachtung überschwappen kann, und endet noch lange nicht bei den offen diskriminierenden "Hausordnungen".

Trennende Auffassungen

"Ich gehöre zu denen, die es sich leisten können, das abzustreifen", dieses Zitat hat mich aber länger beschäftigt, spricht es doch einen wesentlichen Punkt in der gesamten "Migrations-/Integrations-/Law-and-Order-Debatte" an: die Frage der Verteilungsgerechtigkeit, denn Aufstieg hat viel mit Kapital zu tun.

Julya Rabinowich, deren erstes Buch mich sehr bewegt hatte, ist als Autorin anerkannt, besitzt erhebliches kulturelles Kapital, über das viele andere Menschen nicht verfügen. So wäre es auch für mich ein Leichtes, mich von meinem Migrationshintergrund abzuwenden, denn auch ich verfüge über kulturelles Kapital.

Ich bin hoffentlich die Erste in meiner Familie, die einen Universitätsabschluss haben wird. Meine Lebensrealität entspricht nicht jener der slowenischen Haushälterin, sondern mehr der vieler anderer Studierender. Ich gehe fort und trinke und arbeite und lerne.

Geteilte Erfahrungen

Migrationshintergrund ist ja auch kein Alarmsystem, das piept, wenn du irgendwo anecken könntest. Ich muss mich nicht anders fühlen, ich muss keinen Minderwertigkeitskomplex entwickeln, weil meine Eltern aus einem anderen Land stammen, und ich muss deshalb anders als manche oberösterreichische Burschen mit Migrationshintergrund nicht glauben, dass ich besser bin als andere, auch wenn ich verstehe, wie weh es tut, Erfahrungen mit Diskriminierung zu machen.

Dennoch weiß ich ganz genau, wie sich zum Beispiel JournalistInnen bei daStandard.at fühlen müssen, denn Migrationshintergrund ist eine oftmals geteilte Erfahrung. Auf dieser Welt leben eben nicht nur abgeschottete Individuen, sondern Menschen mit vielfältigen und manchmal ähnlichen Lebensweisen.

Auch andere Menschen wissen, wie es mir geht, wenn ich nach einem fünfminütigen Telefongespräch meinen Namen erwähne und das Gegenüber antwortet: "Na, das hab ich jetzt aber nicht erwartet. Sie sprechen aber gutes Deutsch." Mit oder ohne Migrationshintergrund.

Migrationshintergrund ist nicht nur eine wissenschaftlich wichtige Kategorie, die dazu dient, Ungerechtigkeiten aufzuzeigen. Stefan Beig sagt richtig: "Vielfalt braucht Auseinandersetzung."

Warum sollte ich das Werkzeug zerstören, das ich brauche, um diese Welt besser analysieren zu können?

Bloß weil einzelne Menschen mit Migrationshintergrund "angekommen" sind, heißt es nicht, dass die Kategorie absurd ist, sondern der Integrationsdiskurs, der die Richtung des Kommens und Gehens vorgibt. Wer sich des Begriffs "Migrationshintergrund" entledigen will, fördert eine Entsolidarisierung in dieser Gesellschaft, denn es gibt genug Menschen, die genau aufgrund ihrer Herkunft, sei es sozio-ökonomisch oder kulturell, von großen Teilen der Gesellschaft ausgeschlossen sind.

Der vielkritisierte Leistungsgedanke wird in dieser Petition durch den abgrenzenden Sprachgebrauch verstärkt, denn zu Wort kommt, wer schon oben ist, um hier selbst eine Richtung aufzuzeigen.

Natürlich braucht es eine neue Politik, aber diese Politik darf nicht mundtot machen. Diese solidarische Politik muss Ungerechtigkeiten aufzeigen und parteiisch sein. Verständlicherweise "nervt" die Migrationsdebatte und ist "lästig", wie es die Petition und ihre UnterzeichnerInnen formulieren. Das heißt aber nicht, dass wir jetzt den Kopf in den Sand stecken sollen, sondern im Gegenteil, dass wir aufstehen und rassistische Gesellschaftsverhältnisse aufzeigen und verändern. (Kübra Atasoy, derStandard.at, 5.4.2012)