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Manchmal könnte man meinen, die Pariser Medien würden per Zauberhand gelenkt. Sie, die seit Monaten den Sozialisten François Hollande als zukünftigen Staatspräsidenten Frankreichs präsentieren, vollziehen eine Kehrtwende. Das linke Wochenmagazin Le nouvel observateur überschreibt seine neuste Ausgabe: "Hilfe, Sarkozy kehrt zurück".

Das konservative Konkurrenzblatt le point bezeichnet den amtierenden Präsidenten auf dem Titelbild als "Der Mann, der nie verzichtet" - schon gar nicht auf ein zweites Präsidialmandat.

Politisch unabhängig, fragt L'Express zu Hollandes Konterfei schlicht: "Wird er verlieren?"

Der Anlass für die Kehrtwende ist an sich nichtig: Laut einer Meinungsumfrage (von vielen) würde Hollande im zweiten Durchgang der Präsidentschaftswahlen "nur" noch mit 53 zu 47 Prozent gewinnen. Bisher hatte ihm der Umfrageschnitt regelmässig 54 Prozent eingeräumt.

Ein Prozent Unterschied macht noch keinen Frühling, würde man sagen. Warum also die einhellige Stimmungswandel in den französischen Medien? Am Werk ist natürlich kein obskurer Drahtzieher, wie ihn die zahlreichen französischen Komplotttheoretiker gerne im Pariser Machtzentrum (mit Zentrum Elysée) vermuten. Was dann? Es dürfte eher ein Bauchgefühl sein, dass eine andere Zeitschrift, Marianne, auf den hübschen Nenner bringt, Hollande sei vielleicht "eine zu ruhige Kraft" (une force trop tranquille). Das spielt natürlich auf François Mitterrands berühmten Wahlslogan "la force tranquille" von 1981 an. Viele Kommentatoren meinen, Hollande verhalte sich gegenüber den Attacken des Sarkozy-Lagers zu gelassen, zu passiv. Damit werde nicht der gewünschte staatsmännisch erhabene Effekt erzielt, sondern ein eher lauer Eindruck geweckt. Oder noch schlimmer - es bestätige die Aussage der früheren Präsidentengattin Bernadette Chirac, Hollande habe nicht das "gabarit", das Format oder Kaliber eines Staatspräsidenten.

Sarkozy wird geklopft

Hollande ist diesen Stimmen schon zuvorgekommen und hat diese Woche Gegensteuer gegeben. Er meinte, man werde Sarkozy jetzt "taper" (klopfen). Und nachdem der amtierende Staatschef sein Publikum verschiedentlich aufgefordert hatte, ihm zu helfen, erlaubte sich Hollande sogar den heftig applaudierten Nachsatz: "Helft ihm ... (Kunstpause) abzutreten!"

Allzu aggressiv will sich der Sozialist aber (noch) nicht geben. Er hält sich sogar in der Bettencourt-Affäre zurück, obwohl sich die Indizien mehren, dass sein bürgerlich-gaullistischer Rivale im Wahlkampf 2007 von der L'Oréal-Milliardärsfamilie Bargeldumschläge erhalten haben könnte.

Die Frage des richtigen Konterns ist für Hollande wichtiger, als man annehmen könnte. Sarkozy sucht den Konflikt sehr bewusst, um seinen Herausforderer vom Sockel des lächelnden Favoriten zu stürzen und in die Niederungen einer Schlammschlacht zu zerren. Dort rechnet er sich mehr Chancen aus. Das ist nicht einmal sicher, denn Hollande wird gerne unterschätzt. Sein Problem ist eher, dass die Franzosen eben gerade unsicher sind, mit wem sie es zu tun haben. Bei Sarkozy wissen sie mittlerweile, woran sie sind: Selbst wenn er wollte, kann sich der rührige Selbstinszenierer gar nicht verstecken. Hollande hingegen ist, obwohl er seit dreissig Jahren in der französischen Politik ist, noch vielen ein Rätsel. Zumindest lässt er Fragen offen. Und das mögen die Wähler nicht besonders. (Stefan Brändle, derStandard.at, 4.4.2012)