Bild nicht mehr verfügbar.

Mitglieder der Tibetgemeinschaft Österreich protestieren 2011 mit einer Mahnwache auf der Wiener Ringstraße gegen den Besuch des Staatspräsidenten der Volksrepublik China, Hu Jintao.

Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

In den letzten Wochen wurde wieder klar, wie fragil Meinungsfreiheit in China sein kann. Nachdem Gerüchte über einen Putsch und generell über die Regierung im Internet kursierten, wurden Weibo, das chinesische Twitter-Pendant, und QQ, die kleine Schwester von ICQ, stark eingeschränkt und die Kommentarfunktion gesperrt. Auch wenn Internetzensur an der Tagesordnung ist: Dieser massive Eingriff in Social-Media-Plattformen kam für viele Menschen als Überraschung und Schock, denn normalerweise geht die chinesische Regierung weniger brachial vor. Entgegen vielen Vorurteilen kann man in China nämlich recht viel aussprechen bzw. schreiben - solange man sich an einige Regeln hält.

Eine der Hauptregeln: Sowohl in schriftlicher wie auch mündlicher Form sind Aussagen über die sogenannten drei Ts vollkommen tabu oder mit großer Vorsicht zu tätigen. Wenn man sie anschneidet, folgt meist eine Abfuhr und ein Themenwechsel, denn die wenigsten Menschen fühlen sich wohl, wenn sie darüber sprechen, egal welche Meinung sie vertreten. Schließlich kann man nie wissen, was unvorsichtige Bemerkungen nach sich ziehen können. Und das ist nicht nur eine Eigenheit Chinas; jede Gesellschaft hat ihre Tabus und Themen, die besser nicht angesprochen werden sollten.

Hohe Berge, gutes Essen

Eine der Hauptstrategien der chinesischen Regierung ist die Entpolitisierung von brisanten Begriffen. "Tibet" ist als Reiseziel etwa ein normales Thema, aber politische Aussagen darüber hat man gefälligst für sich zu behalten. Selbst äußerst aufgeklärte Chinesen verbitten sich Diskussionen darüber. "Tibet ist eine Provinz Chinas und sehr schön für den Tourismus", ist ein Standard-Antwortsatz. Nur selten kommen weitere Parolen über den bösen Dalai Lama oder Demonstrationen.

Tibet ist in der Öffentlichkeit lediglich ein Ort mit hohen Bergen, und es ist ohne jegliche Diskussion ein Teil Chinas. Nur wenn man als Westler zu lange darauf beharrt, kommen irgendwann die unvermeidlichen Verteidigungsreden: wie wenig die Westler China verstehen würden und dass man sich nicht einmischen solle. Die chinesischen Medien führen eine derart aggressive Propaganda gegen westliche Berichterstattungen und Diskussionen zu dem Thema, dass sich jeder sofort angegriffen fühlt, wenn ein Westler davon anfängt. Die westlichen Medien tragen durch einseitige Berichterstattung häufig dazu bei, diese Abwehrhaltung zu verfestigen.

Etwas anders sieht es bei dem Wort Taiwan aus. Es ist allgemeine Propaganda, dass auch Taiwan eine chinesische Provinz ist - in meinem Sprachelehrbuch steht stets "die chinesische Provinz Taiwan", während andere Provinzen ohne diese explizite Beschreibung erwähnt werden. Aber viele Chinesen sind sich durchaus bewusst, dass diese Provinz in Wirklichkeit politisch, ökonomisch und sozial sehr weit davon entfernt ist, ein Teil des Landes zu sein.

Angesichts der zunehmenden Zahl taiwanesischer Touristen, die mit ihrem Nationalstolz wegen der florierenden Wirtschaft, der politischen Freiheit und ihres sichtbar höheren Lebensstandards prahlen, können auch die Parteitreuesten ihre Augen nicht vor der Realität verschließen. Und der Konflikt brodelt schon viel zu lange, als dass er die Gemüter übermäßig erhitzen würde. Wo vor einigen Jahrzehnten noch politischer Eifer herrschte, nimmt man jetzt mehr ein Gefühl von "Lass uns den Streit einfach beerdigen" wahr. Was den meisten Chinesen zu Taiwan einfällt: Dort gibt es sehr gutes Essen.

Tiananmen oder die Totschweige-Politik

Die größte Überraschung ist für mich der Umgang mit dem Begriff Tiananmen gewesen. Für Westler ist er unauflöslich mit den Vorfällen am Tiananmen-Platz 1989 verbunden; das "Tiananmen-Massaker" war damals und ist noch immer in den Medien präsent als das Beispiel der autoritären Herrschaft der Zentralregierung.

Wie erstaunt war ich da, als ich feststellte, dass wirklich viele Chinesen - auch Studenten - der jüngeren Generation abgesehen von dem Platz an sich rein gar nichts mit dem Namen in Verbindung bringen. Nur politisch aufgeklärte Chinesen wissen überhaupt etwas von dem Thema, und wenn sie darüber sprechen, dann nur hinter vorgehaltener Hand und mit großer Nervosität. Die Einschüchterung der Beteiligten durch die Regierung muss so groß gewesen sein, dass dieses Thema vollkommen totgeschwiegen wird und für viele auch tatsächlich gar nicht mehr existiert. Gebietsstreitigkeiten hin oder her, die Erwähnung von Tibet und Taiwan verursacht im Vergleich dazu kaum nationalistische Gefühlsausbrüche.

Aber Tiananmen ist eine ganz andere Liga und die Regierung hat deswegen auch eine andere Strategie. Statt der aggressiven Propaganda wird jegliche Diskussion totgeschwiegen und unterdrückt. Die konkrete Bedrohung, die die Regierung von ihrer eigenen Bevölkerung fürchtet, ist beachtlich, und die Botschaft des Vorfalls war klar: "Wirtschaftliche Liberalisierung ist okay, aber mischt euch bloß nicht in die Politik ein!"

Und dies ist auch die Botschaft der Internetzensur der letzten Tage. So werden zwar Beiträge mit den Worten Dalai Lama routinemäßig von Blogs gelöscht, aber bei innerparteilichen Gerüchten und einer zu starken Beteiligung der Zivilbevölkerung an Diskussionen, die sie laut Regierung nichts anzugehen haben, werden gleich einmal ganze Netzwerke lahmgelegt. (An Yan, daStandard.at, 5.4.2012)