Samsungs Kreativzentrum ChangJo Kwan in Yogin City bereitet Manager auf die Herausforderungen der rasenden IT-Welt vor.

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In Südkorea genießt Samsung eine Sonderstellung. Der größte Konzern des Landes trägt Schätzungen zufolge zwischen 15 und 20 Prozent zum BIP bei.

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Der Eingang wird von einer Weltkarte geschmückt. Über 80 Unternehmen - von der Bank bis zum weltgrößten Elektronikkonzern Samsung Electronics - weiß die Samsung-Gruppe weltweit unter ihrer Flagge.

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Der Innenhof symbolisiert das Zentrum der internationalen Samsung-Welt.

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Manager im Unterricht.

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Die Unterkünfte der Elite-Azubis sind künstlerisch gestaltet und sollen zum Kreativsein anregen.

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Auf die Schriften in jedem Stockwerk hält Samsung ein Copyright.

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Für Pausen bietet sich "The Blue" an ...

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... an die "Studenten" wird jedoch kein Alkohol ausgeschenkt.

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Im Showroom fährt Samsung große Geschütze auf: Die Produkte von Samsung Electronics sind die Stütze des Konzerns. 2011 brachten Fernseher, Smartphones, Speicherchips und Co. über 140 Milliarden US-Dollar ein.

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In Seoul hausiert Samsung Electronics im eigenen Bezirk Samsung Town.

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Die Firmenzentrale: Kühl, aber lichtdurflutet. Sicherheitskontrollen beim Eingang sind Standard.

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Um die Ecke findet sich der Flagship-Store.

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Im Obergeschoß werden Technologien und ...

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... künftige Produkte wie dieses Display-Fenster präsentiert.

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Im Konzernmuseum wird es nostalgisch. Samsung wurde 1938 als Handelsfirma gegründet. In den 1960ern erfolgte mit dem Einstieg in die Elektroniksparte der große Aufschwung.

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Das Samsung-Logo im Laufe der Zeit. Die drei Sterne sollen "Größe", "Stärke" und "Ewigkeit" symbolisieren.

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Konstrukt Samsung Electronics: Starke Hierarchien sollen durch direkte Kommunikation abgeflacht werden.

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Fernseher im Wandel der Zeit.

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Samsung ist auch Marktführer bei Kühlschränken.

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Mobiltelefone von gestern und heute.

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Samsung designte auch das "Matrix"-Handy.

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Samsung ist führend bei LC-Displays und stellt 80 Prozent der neuen OLED-Screens her.

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Auf dem Weg nach Yogin City passiert man den Vergnügungspark "Everland". Anfang April mutet der sechstgrößte Entertainment-Park der Welt noch gespenstisch verlassen an.

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Es ist eine gute Stunde Fahrt vom Zentrum Seouls nach Yogin City zu Samsungs Ausbildungsstätte ChangJo Kwan (dt.: Kreativzentrum). Durch die permanente Rush-Hour der Zehnmillionenmetropole geht es vorbei an Plattenbauten, die wie voreilige Blüten von Südkoreas Wirtschaftswunder aus dem Boden in die Höhe sprießen. Die kubischen Strukturen mit ihren vielen kleinen Fenstern erinnern weniger an das schillernde Tokio der 1990er als an die Cyberpunk-Visionen der Jahrtausendwende. 1970er-Jahre-Architektur trifft auf ruhelosen Fortschritt, Werbeslogans ersticken das Alte mit Konsumbotschaften aus der vorausstürmenden Gegenwart. Die Stadtautobahn schneidet sich rücksichtslos durch den Betondschungel. Versteht man die Symbole nicht, fühlt man sich in die trostlos- aufregende Kulisse des Videospiels "Wipeout" versetzt.

Zumindest, bis man sich die Geschichte des Landes in Erinnerung ruft. Bis zur Grenze zum verlorenen Bruder Nordkorea sind es nur wenige Kilometer. Eine massive entmilitarisierte Zone (DMZ) trennt die neue Welt von der ewig gestrigen - den gelebten Traum einer Informationsgesellschaft von der aushungernden Diktatur. In den Nachrichten heißt es, in nur sieben Minuten könnte eine Rakete mit Atomsprengkopf oder biologischem Kampfstoff Seoul erreichen, und im Hotelzimmer schlummert verborgen in einer orangen Kiste eine Gasmaske für den Ernstfall. Doch darüber spricht im Alltag niemand. Es gibt keine Angst vor Krieg, nur die Hoffnung auf Wiedervereinigung. Die DMZ wird als Touristenattraktion genutzt, mit Aussichtswarten und Rummelplatz.

Everland

Vielleicht ist so das Gefühl der Unwirklichkeit zu verstehen, wenn man dem Verkehrssmog ins Grüne entkommt und durch ein Tor mit der Aufschrift "Everland" fährt. Vorbei an Wäldern und an einem in die Hügel eingefassten gigantischen Entertainment-Park, der zum Frühlingsbeginn noch gespenstisch verlassen anmutet, wartet am Ende der kurvigen Straße ein moderner Campus, der von außen den IT-Zentren des Silicon Valley schmeichelt. Doch für den größten Konzern des Landes und den größten Elektronikhersteller der Welt ist es mehr als eine Ausbildungsstätte für Manager und Direktoren. Der Säulendurchgang erlaubt den Blick in den präzise gesetzten Innenhof: "Pride in Samsung" prangt dort in unübersehbaren Lettern. Vom sechsten Stockwerk aus ist das mittig zulaufende Mosaik zu erkennen, ein Symbol für das Zentrum der globalisierten Samsung-Welt.

Spätestens dann ist man in der Gigantomanie dieser Marke angekommen, die man tausende Kilometer entfernt im gesättigten Europa nur als Logo auf Handys oder Fernsehern kennt. Für gut 350.000 Mitarbeiter bedeutet es etwas anderes: die unerschöpfliche Zielstrebigkeit eines allgegenwärtigen Arbeitgebers. Schätzungen zufolge trägt Samsungs vielschichtig verflochtenes Ökosystem allein zwischen 15 und 20 Prozent zu Südkoreas Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei. Das Hotel, die Hochhäuser, die Universität, die in den Horizont flüchtenden Fabriksgelände, das größte Versicherungsinstitut des Landes, eine Bank, ein Frächter, ein ganzer Stadtteil, gut 80 Tochterunternehmen rund um den Globus, ja sogar der eben passierte sechstgrößte Vergnügungspark der Welt stehen hinter diesem Logo. Die tragende Säule des 1938 gegründeten Imperiums ist auf Computerchips gebaut: Samsung Electronics (SE) zählt über 220.000 Mitarbeiter und verbucht einen jährlichen Umsatz von 143 Milliarden US-Dollar (2011).

Umsturz

Mit den Gedanken zurück im Campus wird es wuselig, sehr menschlich, als Trainees den Vorlesungssaal für eine Pause verlassen. Die Räume sind lichtdurchflutet, mit Designermöbeln eingerichtet, die Lektoren sprechen von einer Bühne anstelle eines Rednerpults aus. Manche Tests werden wie ein Fernsehquiz inszeniert, heißt es zumindest in der Broschüre. In einem Vorführraum gegenüber wird der Unternehmensgeschichte gedacht. Am 7. Juni 1993 stellte der damalige CEO Lee Kun-hee den Konzern auf den Kopf, als er in Frankfurt den radikalen Wandel in eine globale Marke verkündete. Inspiriert von den Erfolgen der japanischen Riesen wie Sony und Toshiba strebte man nun selbst die "Weltherrschaft" an.

Den Original-Schreibtisch und das Gemälde im Hintergrund ließ die Führung in Gedenken an die "Frankfurter Deklaration" importieren. Fotografieren verboten! Es ist gewiss ein geschönter Blick auf die Erfolge, der Steuerhinterziehungsskandale des ehemaligen Bosses und einstige Millionenstrafen aufgrund von Preisabsprachen nicht preisgibt und weniger die historische Authentizität eines Museums als die Inspirationskraft einer Hall of Fame im Sinn hat. Die Lenker von morgen sollen Chancen, keine Probleme vor den Augen haben.

Andy Warhol im Technik-Palast

So schöngeistig geht es architektonisch weiter im Kreativzentrum. Die schlicht und freundlich gestalteten Unterkünfte wurden in jedem Stockwerk einem anderen Künstler nachempfunden. Pablo Picassos Abstraktionsvermögen ziert den einen, Andy Warhols Pop-Art den anderen Gang. "Jeder Stock hat seine eigene Beschriftung", erklärt Angela Oh vom Human Resources Development Center, die sich wie viele mit ihrem englischen Namen vorstellt. "Wir haben das Urheberrecht darauf", merkt sie freundlich lachend an. Den elitären Azubis soll es an nichts fehlen. Bevor sie sich noch im Arbeitsalltag behaupteten, wurden viele von ihnen bereits als Studenten handverlesen: Der Konzern betreibt die renommierte Sungkyunkwan-Privatuniversität für Sozial- und Naturwissenschaften mit einem jährlichen Budget von gut 300 Millionen US-Dollar. Die besten Abgänger werden direkt rekrutiert.

Die Kunst wird zwischendurch vom hochtechnisierten Zugangssystem basierend auf QR-Codes durchkreuzt. Jeder Besucher wird registriert, sobald er seine Räumlichkeiten verlässt oder einen Kaffee an der Bar bezahlt. "Alles wird kontrolliert", bestätigt Oh. Doch man könne es auch anders sehen. "Alles ist smart." Alkohol ist zu jeder Zeit und auch in dem im Parterre eingerichteten Club mit Live-Band verboten. Im streng konservativen Korea wird Bildung von der Volksschule an sehr ernst genommen. Laut OECD ist Korea das Land mit den bestausgebildeten Bürgern, vor Finnland und Kanada. Zum Vergleich: Die Schweiz rangiert auf Platz elf, Deutschland folgt auf Platz 14, Österreich auf Platz 17. Die USA sind auf Rang 33 weit abgeschlagen. Es mag auf den ersten Blick also etwas von einer elitären Sommerschule haben, doch die Manager sind nicht zum Spaß geladen.

"Wir kopieren nicht, was Google macht"

Von den digitalen Skripten auf zur letzten Station. Im Schauraum funkeln Displays von allen Seiten, wie man es von den Fachmessen in Las Vegas oder Berlin kennt. Beim 4D-Erlebnis wird der Spielfilm "Tron" mit Hilfe des neuesten 3D-Fernsehers, Surround-Sound und mitlenkenden Fernsehsesseln zum Leben erweckt. Der Campus wirkt kurzzeitig verspielt, amerikanisch und dann wieder nicht. Die koreanische Zurückhaltung, der stille Ehrgeiz lässt sich selbst durch laute, pathetische Werbevideos und bunte Möbel nicht übermalen. Mit dem "Spirit" eines Google oder Microsoft habe dies nichts gemein. "Unser Ansatz unterscheidet sich grundlegend", sagt Sangho Jo, Präsident von Samsung Electronics Austria. "Wir kopieren nicht, was Google macht."

Dass der Kaffee in der Kantine in Yogin für Mitarbeiter kostenpflichtig ist und in Mountain View nicht, ist nicht damit gemeint. Koreas hochtechnisierte Gesellschaft ist ihren eigenen Weg gegangen. Während iPhone-Nutzer in den USA dem Mobilfunkempfang hinterherjagen und in Österreich über den landesweiten Glasfaserausbau lamentiert wird, surfen in Seoul bereits 3,4 Millionen Menschen im 2011 errichteten LTE-Netz. Der neue Mobilfunkstandard ergänzt das landesweite Glasfasernetz. So schnell wie in Korea bewegen sich die Leute in keinem anderen Land durchs Internet. Schulen wurden hier bereits mit Breitband versorgt, als die Telekom in Österreich noch 56k-Modems vertrieb.

Die Tour ist zu Ende, und obgleich man die Presse eher scheut, gibt es ein Abschiedsgeschenk: einen mit Steinen geschmückten USB-Stick, auf der Unterseite steht "People". Samsung ist auch der weltgrößte Hersteller von Speicherchips.

Digital City

Eine Stunde Autofahrt entfernt findet sich im Industrieviertel Samsungs Suwon-Komplex, der unter anderem die Telekommunikationssparte beherbergt. "Welcome to Digital City", begrüßt einen das Einfahrtsschild. Es wartet ein weiterer Vortrag über die Unternehmensgeschichte, geschmückt von Werbevideos. Es geht um den steilen Aufstieg an die Weltspitze. Musste man zum Einstieg in die Elektronikbranche in den 1960er-Jahren noch mit japanischen Technologietreibern wie Sanyo kooperieren, ist man heute unabhängig. "Wir haben unsere eigenen Kompetenzen entwickelt", sagt der Senior Vice President für Product Strategy, JH Park. 2004 überholte man Sony als bekanntesten Branchenvertreter.

"Wir haben viel vom Erfolg und den Fehlern unserer benachbarten japanischen Elektronikkonzerne gelernt", blickt Park zurück. "Aber ich denke, Samsung hat seinen eigenen Weg gemacht." 2001 lag der Umsatz von SE noch unter 40 Milliarden Dollar, 2011 haben sich die Einnahmen mehr als verdreifacht (143 Mrd. USD). Der Gewinn betrug vergangenes Jahr 11,9 Milliarden Dollar, während die Konkurrenz aus Japan und Taiwan teils massive Verluste einfahren musste. 2012 gibt es nicht mehr viele Elektroniksparten, die Samsung nicht dominiert. Kein anderer Hersteller verkauft mehr Fernseher, Displays, Speicherchips, Arbeitsspeicher oder Smartphones. Jede Minute verlassen 84 TV-Geräte die Werke in Korea, China oder der Slowakei. Jede Sekunde gehen zehn Smartphones vom Fließband.

Digital Sashimi

Um die enorme Nachfrage nach elektronischen Produkten befriedigen zu können, arbeiten die Fabriken nach der "In Time"-Produktion. Ware wird vom Zeitpunkt der Anlieferung der Komponenten bis zur Auslieferung des fertigen Produktes maximal zwei Stunden gelagert. Ein Fernseher ist in nur acht Minuten zusammengesetzt, die Ausschussrate liege dank penibler Fertigungsmethoden der Bauteile im Promillebereich. CEO Geesung Choi prägte in diesem Zusammenhang den Begriff "Digital Sashimi": Elektronik muss wie Fisch frisch serviert werden. Sechs Monate später ist der Konsument bereits weitergezogen.

Damit der Produktionsfluss nie stillsteht, wird sogar die Forschung im globalen Schichtbetrieb geführt. 55.000 Fachkräfte arbeiten in den Entwicklungsabteilungen in Korea, Indien oder Israel. 8,7 Milliarden Dollar investierte man 2011 in die Erforschung neuer Technologien. "Die unterschiedlichen Zeitzonen kommen uns zugute", sagt Produktstratege Park. "Wenn ein Team in Korea Feierabend macht, kann ein anderes Team in Indien an der gleichen Sache weiterarbeiten." In den USA, dem größten Absatzmarkt Samsungs, wurden dem Konzern vergangenes Jahr nach IBM bereits die meisten Technologie-Patente zugesprochen. Canon und Apple müssen sich hinten anstellen.

Alles aus einer Hand

Es ist die vertikale Struktur, die die nachhaltig eingeschworenen koreanischen Führungskräfte sehr selbstsicher auftreten lässt. Kein anderer zurzeit erfolgreicher IT-Konzern kann in gleichem Maße Kompetenz bei der Herstellung einzelner Komponenten und bei der Fertigung von Produkten vorweisen. Wesentliche Bauteile eines Smartphones wie Display, Prozessor und Flash-Speicher müssen nicht von Partnern bezogen werden, sondern werden aus den eigenen Reihen bestellt.

Gleichzeitig orientiere man sich stark am Konsumenteninteresse, was sich in einer geradezu unüberschaubaren Produktpalette widerspiegelt. Gegen besseres Wissen westlicher Marketingexperten wird das Angebot nicht fokussiert, sondern konsequent ausgeweitet. "Wir versuchen, die Bedürfnisse aller Konsumenten zufriedenzustellen", erläutert Park. Während Apple jedes Jahr mit einem "neuen iPhone" versucht, vor allem die zahlungskräftigsten Schichten anzusprechen, führt Samsung selbst exotische Entwicklungen wie Handys mit eingebautem Beamer in seinem Sortiment. "Wenn es eine Nische gibt, setzen wir einen Fuß hinein. Das ist unsere Philosophie."

Schlachtfeld Smartphones

Um neue Geschäftsfelder zu erobern, verschließt man sich auch vor Partnerschaften nicht. Bestes Beispiel ist laut Park die Mobilfunksparte, die Endgeräte mit verschiedensten Betriebssystemen anbietet. Besonders gewinnbringend war in der jüngeren Zeit die Kooperation mit Google und dessen Mobile-Plattform Android.

Es wird alles darangesetzt, sich in diesem Feld zu behaupten. Während Fernseher und Laptops heute branchenweit kaum bis gar keine Gewinne abwerfen, sind bei den mobilen Alleskönnern fette Margen zu holen. Samsung-Smartphones, in deren Zentrum die Galaxy-Serie steht, sorgen beim koreanischen Giganten für einen Großteil der Profite. "Über 50 Prozent der europäischen Einnahmen sind auf die Mobile-Communication-Sparte zurückzuführen", bestätigt GY Seo, Chief of Europe Mobile Sales.

"Wir haben Nokia nicht umgebracht"

Das Geschäft ist erbarmungslos. Wer zu lange abwartet oder auf das falsche Zugpferd setzt, wird hart bestraft. HTC oder LG konnten die Massen mit ihren Flaggschiffen 2011 nicht begeistern und rutschten in die roten Zahlen. Den größten Verlierer des Smartphone-Booms, Nokia, betrachtet Seo als Warnung davor, stehen zu bleiben. Der finnische Handy-Riese hatte 2007 bis 2010 die aufstrebenden Plattformen Apple iOS und Google Android belächelt und weiter auf die eigene, veraltete Software Symbian gesetzt. Diese Starrköpfigkeit wurde schlussendlich mit massiven Marktanteilsverlusten bezahlt. "Wir haben Nokia nicht umgebracht. Das war Suizid", meint Seo. "Wir waren klar besser darin, auf den Markt zu hören", drückt es Park diplomatischer aus.

Auch Nokias Entscheidung, für den Umschwung künftig auf eine exklusive Partnerschaft mit Microsoft und dessen Betriebssystem Windows Phone zu bauen, stößt beim Diversität liebendenden Samsung auf Unverständnis. "Es würde Nokia in keiner Weise schaden, auch auf Android zu setzen", so Martin Wallner, Leiter der Telekommunikationsabteilung von Samsung Österreich. Chancen dürften nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Veränderungsbereitschaft wird nicht erst am Campus in Yogin City angezüchtet. Windows Phone wird bei Samsung parallel zu Android und dem eigenen Bada-System eingesetzt.

Noch ein weiter Weg bis Apple

Der bislang größte Profiteur der Smartphone-Revolution, Apple, wird spärlich kommentiert. Zwischen den Zeilen liest man sowohl Aspiration als auch Zuversicht heraus. "Apple hat großartige Arbeit geleistet bei der Schaffung neuer Märkte", sagt Park. "Aber auch Samsung ist sehr gut aufgestellt und wird seinen eigenen Weg gehen."

"Es ist nicht unser vorrangiges Ziel, mit Apple zu konkurrieren", betont Sales-Chef Seo. Den Wettbewerb scheuen müsse man jedoch nicht. Wie einst Japans Technologiestolz Sony in den 1990ern ist nun Apple einer jener Sterne, nach denen die koreanischen Träumer zu greifen gedenken. Grund dafür ist Apples in der Branche unerreichte Gewinnmarge. Jedes verkaufte iPhone bringt dem Konzern aus Cupertino drei- bis viermal mehr ein als die Geräte des Mitbewerbs. Allein im vergangenen Weihnachtsquartal wanderten 37 Millionen iPhones über den Ladentisch. Apple verdiente in vier Monaten bei einem Umsatz von 43 Milliarden Dollar insgesamt mehr als elf Milliarden Dollar - iPads, iPods und Macs eingerechnet. "Es ist noch ein weiter Weg bis dorthin", zollt Seo diesem Maß an Effizienz Respekt.

Auf den Suizid warten

Die große Chance sieht Samsung in seiner ökonomischen Unabhängigkeit. Wichtig sei es, die Dinge auf eigene Weise anzupacken und selbstbestimmt zu bleiben. Der Konzern wird zwar an der Börse gehandelt, ist zum Großteil jedoch im Besitz privater Eigentümer. Ein Unterschied, der im Wettstreit mit westlichen Playern künftig noch eine große Rolle spielen könnte.

Um seine Aktionäre zu befriedigen, muss Apple das Rad jedes Mal neu erfinden. Sollte die Innovationskraft Apples eines Tages ins Stocken geraten, könne der Konzern auf keine vergleichbaren Technologieressourcen zurückgreifen. Innovation ist ein Spiel auf Zeit, und hier säße der Multi Samsung am längeren Ast. "Wir warten auf Apples Suizid", scherzt Seo in Anspielung auf Nokia. Das erstarkte Bewusstsein über die eigenen Kompetenzen und die vermeintlichen Schwächen des Gegenspielers werde man künftig vermehrt im Marktauftritt deutlich machen. So etwas wie Angst vor dem US-Giganten Apple, der schon Nokia mit dem iPhone, Sony mit dem iPod und Microsoft mit dem iPad ins Schwitzen brachte, ist keinesfalls zu spüren. "Dieses Jahr werden wir deutlich aggressiver vorgehen", tönt es selbstsicher.

"Es ist möglich, gleichzeitig Partner und Konkurrent von Apple zu sein"

Während Seo und dessen Mobile-Sparte Apple als Konkurrent ins Visier nehmen, profitiert Samsungs Halbleiter-Sparte vom Apfel-Hype. Noch so ein Vorteil der Vertikalität. Jedes iPhone, jedes iPad, jeder iPod, jeder Mac wird mit Flash-Speicher, RAM oder Displays aus Korea bestückt. Aufgrund der Unabhängigkeit der Abteilungen stelle dieses zwiespältige Verhältnis keinen Widerspruch dar. "Es ist möglich, gleichzeitig Partner und Konkurrent von Apple zu sein, weil das separate Firmen sind", erklärt Seo.

Weniger gern spricht man über offensichtliche Reibungspunkte zwischen den Unternehmen. Samsung und Apple stehen einander in zahlreichen Patent- und Markenrechtsstreiten vor Gerichten in aller Herren Länder gegenüber. Apple wirft Samsung unter anderem vor, das Design von iPhone und iPad zu kopieren. "Wir werden dieses Problem lösen", sagt Park. Dass es sich dabei um ein kalkuliertes Risiko anfänglicher Nachahmung handelt, wird öffentlich nicht diskutiert. Vereinzelte Ähnlichkeiten mit den i-Produkten lassen sich bei genauer Betrachtung aber schwer abstreiten. Apples ökonomisches Verpackungsdesign etwa wurde bis auf den Anstrich eins zu eins übernommen. Auf der anderen Seite sind dies wohl Zeichen für einen funktionierenden Wettbewerb. Auch Apple hat Maus, Mac und MP3-Player nicht selbst erfunden.

Eigene Innovationen und Produkte werde Samsung jedenfalls gut schützen lassen, um für künftige Streitereien gerüstet zu sein. "Wir haben sehr viel in Patente investiert. Das ist sehr wichtig für unsere Ziele", sagt Park.

Flache Hierarchien

In erster Linie gelte es jedoch, sich auf sich selbst zu konzentrieren und interne Prozesse zu optimieren. Der größte Feind eines Unternehmens ist immer noch die eigene Versagenskraft. Samsung setzt seit geraumer Zeit einiges daran, interne Stolpersteine aus dem Weg zu räumen. Eine Herausforderung stellt die Abflachung der jahrzehntelang gepflegten Hierarchie dar. Das Qualifikationssystem erinnert mit den acht Graden S1 bis S8 sowie den üblichen Titeln für leitende Positionen schon etwas an das Auszeichnungssystem in fernöstlichen Kampfsportarten. Vor allem bei der Absegnung internationaler Agenden könne dies in Bürokratiegebaren ausarten, ist von Vertretern europäischer Niederlassungen zu vernehmen. Niederlassungen im Ausland werden fast immer von koreanischen Männern geführt. Bisher haben es nur eine Frau und ein Europäer an die Spitze geschafft.

Obgleich der große Respekt vor Vorgesetzten bis in die europäischen Niederlassungen zu spüren ist, wird zumindest versucht, die Kommunikationswege kurz zu halten. "Bei uns gibt es keine Sekretärinnen", erklärt Wallner von Samsung Electronics Austria. "Selbst der CEO hat keinen persönlichen Assistenten." Anstelle dessen setze man zur Organisation auf Team-Assistenten, die jedoch hauptberuflich allesamt eigene Aufgabenbereiche verfolgen. "Wir forcieren die direkte Kommunikation", sagt Österreich-Chef Sangho Jo. "Wenn jemand dazwischen steht, geht Zeit verloren." Lokale Projekte werden eigenständig, ohne Eingriff der Zentrale in Angriff genommen.

Die Perfektion des Fließbandes

Dieser Drang zur Optimierung findet sich am anschaulichsten in der Produktion wieder. Eigene Produktionsliniendesigner arbeiten konsequent daran, die Anzahl der Arbeitsschritte und -kräfte, die man für die Fertigung benötigt, zu verringern. "Es kann vorkommen, das innerhalb eines Jahres das gesamte Fabrikslayout umgestellt wird", betont Wallner. Diese Effizienz sei einerseits notwendig, um zumindest die teuren High-End-Serien und Erstchargen - bei den vierfachen Lohnkosten gegenüber Niedriglohnländern wie China - in Korea produzieren zu können. Und andererseits erlaube dies, bestimmte Produkte lokal herzustellen, anstatt alles aus Asien importieren zu müssen. Fernseher für den europäischen Markt werden etwa in der Slowakei gebaut.

Solange das Unternehmen wächst, würden eingesparte Arbeitskräfte an neuen Stellen eingesetzt. Bislang musste der Umkehrschluss noch nicht in der Praxis umgesetzt werden. Allzu gern spricht man dieser Tage aber nicht über Fabriken. Obgleich in den koreanischen Anlagen auf koreanischem Niveau gut bezahlt werde und man seine Angestellten "keineswegs unmenschlich" behandle, wolle man nicht - wie in jüngster Vergangenheit Apple - in Zusammenhang mit den miserablen Bedingungen chinesischer Fertiger vom Schlage Foxconn gebracht werden. Ein zuvor geplanter Fabriksbesuch für Journalisten in Korea wurde aus Angst vor schlechter Presse kurzfristig abgesagt. Anstelle dessen spricht man in euphorischen Worten über die Zukunft. Wachstum stehe ganz oben auf der Agenda.

Horrende Ziele

Im Hauptsitz in Samsung Town, Seoul, wird zielstrebig an neuen Herausforderungen gearbeitet. Smartphones mögen 2012 der Renner sein, was die Cashcow in zehn Jahren sein wird, muss bereits jetzt erkannt werden. Und sieht man sich den internen Fahrplan bis 2020 an, steht abermals ein großer Wandel bevor. Nicht mehr "Infotainment", sondern "Lifecare" steht am Horizont geschrieben.

Die Energiefrage wird mit Investitionen in den Bau von Solarzellen in Angriff genommen. Die zunehmend alternde Bevölkerung soll mit Produkten versorgt werden, die das Leben erleichtern. Computersysteme sollen Menschen über das körperliche Wohlbefinden informieren und bei Notfällen im Haus selbstständig Hilfe organisieren. Die Konferenzräume von morgen werden mit Display-Fenstern ausgestattet, die gleichzeitig als Präsentationsfläche und als Blende genutzt werden können. Im Medizinbereich fasst man ebenfalls Fuß. 2011 übernahm Samsung um mehrere hundert Millionen Dollar einen Spezialisten für Ultraschallgeräte. Die Konzernentscheider versprechen sich viel vom Geschäftsbereich "Leben". Die Zielvorgaben sind nicht minder horrend: Samsung Electronics soll innerhalb der nächsten neun Jahre den Umsatz von 140 auf 400 Milliarden Dollar steigern.

Der Wind weht von Osten

Nach Sony und Apple rücken dann also Sterne wie Siemens ans Himmelszelt. Mit ein bisschen Fantasie wird der Name "Samsung", der so viel wie Dreistern bedeutet, treffend. Die drei Sterne sollen die Eigenschaften "Größe", "Stärke" und "Ewigkeit" symbolisieren. Etwas pathetisch in den Augen westlich geprägter Generationen, die mehrheitlich US-Start-ups mit smarten Namen wie Google oder Hulu nacheifern.

Doch wer sich mit Namensinterpretationen und Althergebrachtem aufhält, hat den koreanischen Fortschrittsdrang so und so nicht verstanden. Vielleicht aber fehlt dem außenstehenden Betrachter zwischen darwinistischen Marktgesetzen und einer Gesellschaft auf der Überholspur auch einfach nur der Überblick. In Amerika beklagt die stimmkräftige Minderheit der Millionäre soziale Maßnahmen, die die Schere zwischen Reich und Arm zum Segen aller zu schließen drohen. In der EU stoßen sich neue Antipirateriegesetze an der Realität der Netzgesellschaft. Oder anders ausgedrückt: Über den mannigfachen Dächern Seouls bricht gerade ein neuer Tag an. Europa schläft noch und die USA machen gerade Feierabend. "Wir gehen unseren eigenen Weg." (Zsolt Wilhelm, derStandard.at, 5.4.2012)