Hübsche Tolle, tolle Nase: Der Franzose Frédéric Malle ist Parfumspezialist erster Ordnung.

Foto: Hersteller

Wirklich gute Parfums brauchen keine gewagt designten Flacons, sie wirken mehr über den Inhalt.

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In Frankreich nennt man sie "Parfum-Komponisten" oder einfach "les nez", die Nasen - jene Experten, die einzelne Düfte so kombinieren, dass sie ein Parfum ergeben. Ihnen hat Frédéric Malle sein Buch Die Kunst des Parfums gewidmet. Malle selbst ist Parfumerzeuger und -händler. Der Beruf liegt in der Familie. Sein Großvater gründete die Parfum-Linie von Christian Dior, unter ihm entstanden Kultdüfte wie Miss Dior und Diorissimo. Und als Kind begleitete Malle seine Mutter, die für Dior als Art-Direktorin arbeitete, um der Entstehung eines Parfums beizuwohnen. Er lernte sein Handwerk in den vornehmen und anerkannten Parfum-Laboratorien Roure Bertrand Dupont, in der Parfumhochburg Grasse. Später arbeitete er als Duftberater für Hermès oder Christian Lacroix. Heute vertreibt Malle seine eigenen "Editions de Parfums".

STANDARD: Catherine Deneuve, die zu Ihrem Buch das Vorwort geschrieben hat, sucht sich ihre Parfums ihren aktuellen Rollen entsprechend aus. Was kann ein Parfum über den Charakter ausdrücken?

Frédéric Malle: Das Parfum ist das einzig unsichtbare Accessoire femininer Verführungskunst. Man sucht sich einen Duft danach aus, wie man verführen möchte. Für mich sind Gerüche eine schweigende Sprache, die niemand versteht, aber jeder spricht.

STANDARD: Wie meinen Sie das?

Malle: Langweilige Parfums werden von langweiligen Menschen gekauft. Schauen Sie sich diese ganzen Blockbuster-Düfte an, die riechen alle ziemlich gleich. Der einzige Unterschied liegt im Namen des Sport- oder Hollywoodstars, den sie tragen. Da heißt es dann: ahh! Du riechst nach Beyoncé oder nach Prada. Das Parfum ist heute eine Marke, eine Idee, eine Veranstaltung. Meine Parfums sind das exakte Gegenteil. Es gibt keine berühmten Namen, keine Stars. Mir geht es einzig um den Duft. Und wenn ich einen dieser Stars treffe und er nach meinem Parfum riecht, bestätigt mich das.

STANDARD: Sollte man mehrere Parfums verwenden, und wenn ja, wie viele?

Malle: Keinesfalls mehrere, nur ein einziges! Und zwar ein Gutes, das sich dem Wesen der Person anpasst.

STANDARD: Aber wechseln wird man ja wohl dürfen. Wie oft denn?

Malle: Wechseln sollte man nie! Nun ja, vielleicht ein- bis zweimal im Leben - höchstens!

STANDARD: Läuft man da nicht Gefahr, unmodern zu riechen?

Malle: Nein. Ein gutes Parfum ist zeitlos. Denken Sie an Shalimar von Guerlain, es ist von 1924, Chanel Nr. 5 ent-stand 1921 und Après l'Ondée, mein Lieblingsduft und ebenfalls von Guerlain, sogar schon 1913. Zeitlose Parfums werden immer modern sein.

STANDARD: Ich selbst liebe L'Heure Bleue von Guerlain. Für viele ein schwerer, altmodischer Geruch.

Malle: Es war auch Catherines Deneuves Lieblingsparfum, bevor sie ihm meinetwegen untreu wurde. L'Heure Bleue wurde 1912 kreiert und ist eine Kopie von L'Origan, das wiederum um 1905 kreiert wurde.

STANDARD: Ist ein Parfum also immer eine Kopie von einer Kopie?

Malle: Gute Parfümeure beziehen sich immer auf bedeutende Düfte, so wie sich Künstler immer wieder auf die Kunstgeschichte beziehen. Wenn man einen Duft kreiert, der modern ist und modern bleiben soll, beugt man sich nicht den Gewohnheiten des Zeitgeistes.

STANDARD: Geben Sie mir ein Beispiel.

Malle: Ich erinnere mich, als Mitte der 1990er-Jahre das Parfum eines italienischen Designers herauskam. Es roch nach Tuberosen, Orangenblüten und grünen Gräsern. Wenn ich es heute rieche, riecht es wie ein altes, schmutziges Schaf. Alle Düfte, die zu dieser Zeit herauskamen, haben diese gleiche schmutzige Duftnote. Heutzutage werden für viele Parfums oft dieselben zehn Duftbausteine verwendet, auf die dann der Duft aufgebaut wird. Sie sind wie eine Art Hintergrundmusik oder ein seltsamer Cocktail. Es sind diese Cocktails, die einen Duft alt und seelenlos erscheinen lassen. Nur ein Duft, der ohne diese Kompromisse, ohne diese "chemische Duftsuppe" komponiert wird, kann zeitlos werden.

STANDARD: Manche Ihrer Düfte wirken winterlich, andere eher sommerlich, etwa Carnal Flower von Dominique Ropion.

Malle: Das ist eine andere Geschichte, da gebe ich Ihnen recht. Manche Düfte reagieren sehr empfindlich auf ein gewisses Klima. Carnal Flower besteht hauptsächlich aus einer Essenz von Tuberosen, es ist sehr "sonnig" und wirkt deshalb sehr gut an einem Ort wie Los Angeles. Trotzdem kann man es wahrscheinlich auch im Winter in Wien tragen, indem man einfach weniger aufträgt. Oder man verwendet doch einen anderen Duft. Zwischen einem Duft für den Sommer und einem anderen für den Winter zu wechseln finde ich sogar vertretbar.

STANDARD: Sie verstehen Ihre Parfümeure als Autoren, sich selbst als Verleger. Wie funktioniert so eine Zusammenarbeit?

Malle: Es ist mir wichtig, die jeweilige Handschrift meiner Parfumkünstler zur Geltung zu bringen, und ich unterstützte sie bei der Realisierung ihrer eigenen Ideen. Ein echtes Parfum entsteht nicht innerhalb von zehn Minuten, wie auf den Märkten von Tanger. Das Resultat sollte dann aber Mühelosigkeit ausdrücken. Einen Parfümeur zu beraten ist eine seltene Kunstfertigkeit, die man nur über die Jahre lernt. Von uns gibt es auf der ganzen Welt nur eine Handvoll.

STANDARD: Können Sie selbst ein Parfum herstellen?

Malle: Nein. Ein echter Parfümeur ist ein echter Spezialist, der über 20 Jahre tagaus und tagein sein Handwerk betreibt und verfeinert. Als ich für Hermès und Christian Lacroix arbeitete, half ich den Parfümeuren, die Idee des Modeschöpfers in einen Duft zu übersetzen. Heute arbeite ich mit ihnen und unterstütze sie in ihren eigenen Ideen. Ich bin in der einzigartigen Position, meine eigene Firma zu haben und gleichzeitig mit meinen "Nasen" zu arbeiten.

STANDARD: Der Trend geht immer mehr hin zu maßgeschneiderter Kleidung. Was halten Sie von maßgeschneiderten Düften?

Malle: Das ist ein dummer Trend, ich finde ihn ignorant und ziemlich neureich. In den 1930er-Jahren gab es eine wohlhabende Gesellschaftsschicht, die besonders kultiviert war und wahren Stil hatte. Man fuhr maßgearbeitete Autos von Bugatti, ließ sich seine Anzüge von Schneidern in England und Italien machen, die Damen gaben maßgefertigten Schmuck bei Boivin in Auftrag. Aber niemand ließ sich ein Parfum "anpassen", und keines der Parfumhäuser hätte das je zugelassen. Jemand, der Parfum nach Maß herstellt, ist bestenfalls ein drittklassiger Parfümeur - wenn überhaupt! Meistens handelt es sich dabei um Leute, die von einem wahren Parfumhaus abgelehnt wurden. (Cordula Reyer, Rondo, DER STANDARD, 06.04.2012)