
Entfernte Verliebte, die im virtuellen Netz getrennt voneinander abrutschen: Der Skifahrer (Simon Kirsch) und die aufgeputzte Braut (Gerrit Jansen) in Elfriede Jelineks "Winterreise".
Wien - Knallbunte Skifahrer-Monturen erleben direkt proportional zu Elfriede Jelineks Karriere auf Theaterbühnen eine Hochkonjunktur. Im lustigen Alpinbürger steckt über kurz oder lang der gemeine Österreicher, der sich gern von Massenevents hinreißen lässt, seien es historische oder heutige, die mit Bewusstseinstilgung einhergehen. Wobei Jelinek grundsätzlich nichts gegen das Skifahren hat, immerhin war Bode Miller einmal ihr Lieblingsskiallrounder.
Ebenso ist der Bedarf an Zopfperücken mit den Jelinek-Inszenierungen angestiegen. Die zum Markenzeichen der Schriftstellerin gewordene Flechtfrisur ist ein Must für all jene Schauspieler, die deren Alter-ego-Part geben. Alles das gibt es auch in Stefan Bachmanns Winterreise-Inszenierung zu sehen. Allerdings dem selbstironischen Sprecher-Ich hat er im Akademietheater eine neue Montur verpasst: Ein dickwanstiger, mit glitzerndem Geschmeide behängter nackter Rumpf (Barbara Petritsch) wälzt sich aus einem Loch im Bühnenboden, eine der bisher gewagtesten Camouflagen der Dichterin.
Sie führt in irrwitzigen Wortfeldspielen Beschwerde über die Tatsache der Vergänglichkeit: "Am Vorbei kommt man nicht mehr vorbei, an diesem Verlauf hat man teil, aber man wird nie Teilhaber." Von diesen Suaden kann man freilich nie genug kriegen; besonders dann nicht, wenn Petritsch als latexdicke Dichterin (und Anwältin der Toten) eine Glanznummer im Wienerischen Slang vollführt.
Darüber hinaus bedient sich Stefan Bachmann aber am altbewährten Jelinek-Fundus, was ein wenig enttäuscht. Da Bilder reproduziert werden, die man aus anderen Jelinek-Inszenierungen schon bestens kennt. Auch ein wenig lieblos schien die schnöde Dramaturgie, die einfach Lied auf Szene folgen ließ und die zudem unter der arg erkälteten Sängerstimme von Jan Plewka litt, der mit dickem Wollschal um den Hals die todessehnsüchtigen Melodien Schuberts hinauskrähte (live am Piano: Felix Huber).
Bachmanns Inszenierung arbeitet sich an einer monothematischen Bühne (Olaf Altmann) ab, die zum Turngerät für die Schauspieler wird. Eine schwarze Steilwand ragt schräg vom " Orchestergraben" hinauf in den Schnürboden. Diese Wand wird auch zum Massagebrett für den Text, hier geraten Finanzexperten mit ihren beruhigend-scherzenden Sätzen genauso ins Rutschen wie eine Braut (Gerrit Jansen), die ursprünglich für die Börse aufgeputzt wurde.
Elfriede Jelinek stellt den skandalösen öffentlichen Umgang mit kriminellen Bankgeschäften oder dem Entführungsopfer Natascha Kampusch mit halsbrecherischer Verniedlichung genau so aus wie die Zumutungen ihrer persönlichen Familiengeschichte. Rudolf Melichar guckt einmal als Jelinek-Vater durch das Bühnenloch und verabschiedet sich in die Psychiatrie. Immer wieder entlang von Motiven des Winterreise-Liedzyklus' von Franz Schubert und Wilhelm Müller (1827): "Nein, vom Gebirge komm ich diesmal nicht, früher oft, aber diesmal nicht."
Spektakuläres Finale
Die stark gekürzte Fassung für das Akademietheater erhält durch das Zurechtstutzen auf mundgerechte Sketches auch nicht die Schubkraft, die in den Jelinek-Mantras für gewöhnlich freigesetzt wird. Stefan Bachmann hat sich eben ganz für eine Light-Version entschieden, einen witzigen, handlich kurzen und nichtsdestotrotz abenteuerlichen Jelinek-Theaterabend.
Denn beim spektakulären Finale, in dem sich die Bühnenwand mit Flutlicht und Pistenlautsprecher in eine steile Skipiste verwandelt, geht Jelineks Rede schließlich allmählich planmäßig im Getose einer DJ-Ötzi-Hüttengaudi unter. Die alpinen Freizeitsportler - Dorothee Hartinger als todesmutige Schlittenfahrerin, Melanie Kretschmann als Pistenanimateurin in pinken Skihosen (Kostüme: Estehr Geremus) und andere -, fahren an Seilen befestigt mit Snowboard und Skier in den Orchestergraben hinab.
Das macht Spaß und evoziert mit einschlägigem Liedgut echte Stimmung. Doch der Witz daran: Am Ende bleibt von Jelinek tatsächlich nicht viel übrig. (Margarete Affenzeller, DER STANDARD, 7./8./.9.4.2012)