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Am Wiener Gürtel sind die Rotlichtlokale weniger geworden. Nach dem großen Lauschangriff vor zwei Jahren ist die Szene teilweise abgewandert.

Foto: APA/Emanuel Mauthe

Wien - Christian Werner ist schon 25 Jahre im Strafverteidigergeschäft, aber was ihm oder genauer seinem Mandanten Richard S. jetzt passiert ist, hat der Rechtsanwalt noch nie erlebt. Obwohl S. vorgeworfen wird, als Rotlichtkapo in Wien ein kriminelles Netzwerk aufgezogen zu haben und es auch eine Anklage nach dem Mafia-Paragrafen gibt, durfte er seine U-Haft-Zelle verlassen. Wie berichtet, ist die maximal zugelassene U-Haft-Zeit von zwei Jahren erreicht. Weil es nach wie vor keinen Verhandlungstermin gibt, blieb dem Wiener Oberlandesgericht nichts anderes übrig, als den 41-Jährigen zu enthaften.

"Es gibt keine Auflagen für meinen Mandanten, er darf auch jederzeit das Land verlassen", sagt Rechtsanwalt Werner. Auch wenn die Dominikanische Republik locken dürfte, wo S. sich ein zweites Standbein aufgebaut hat, ist Werner sicher, dass der Beschuldigte nicht untertaucht: "Er hat großes Interesse, seine Unschuld in einem ordentlichen Prozess beweisen zu können."

Verzögerung des Verhandlungsbeginns wahrscheinlich

Ein baldiger Verhandlungsbeginn gilt aber als unwahrscheinlich, der zuständige Richter ist nämlich mit einer anderen Causa prima eingedeckt, dem kommenden Bawag-Prozess, bei dem er als Ersatzrichter nominiert ist.

In Justizkreisen heißt es, dass die Ermittlungen immer wieder durch Umfaller von offenbar eingeschüchterten Zeugen zurückgeworfen worden seien, ein Umstand, der vor allem im Rotlichtmilieu keine Seltenheit sei. Auch die Verteidigung habe mit vielen Eingaben das Verfahren verzögert.

Im Bundeskriminalamt ist zwei Jahre nach dem spektakulären Einsatz jedenfalls Ernüchterung eingezogen. Den Reihenverhaftungen zu Ostern 2010 war sogar ein großer Lauschangriff vorangegangen. Die Vorwürfe: Bildung einer kriminellen Organisation, Erpressung, Nötigung und Anstiftung zu schweren Körperverletzungen. Doch mittlerweile sind alle Beschuldigten wieder frei, was laut Polizei für Zores sorgen könnte, denn in der Wiener Halbwelt sind noch Rechnungen offen.

Szenenwandel seit den 1990ern

Richard S., gebürtiger Kroate, Veganer und laut Eigendefinition Hochleistungssportler, dürfte Ende der 90er-Jahre ins Gürtelgeschäft eingestiegen sein, wo zu dieser Zeit Harald H. das Sagen hatte. H.s Lehrmeister war der legendäre "schöne Ederl", einer der letzten sogenannten Galeristen, der sich mittlerweile längst aufs Land zurückgezogen hat. Die "Galerie" bestand hauptsächlich aus Wiener Zuhältern, die zwar mit der Polizei nicht zusammenarbeiteten, aber Kontakte pflegten. Und solange die Galeristen unter sich waren, gab es auch kaum Revierstreitigkeiten in der Rotlicht- und Glücksspielszene.

Als der Zuzug ins globale Dorf auch vor dem Gürtel nicht mehr haltmachte, wurde es ungemütlich. 1993 wurde Harald H. vor einem seiner Lokale angeschossen.In den vergangenen Jahren galten H. (52) und S. als die großen Gegenspieler im Wiener Rotlicht - bis H. wegen Vergewaltigung verurteilt wurde. In den drei Jahren, die er dafür im Gefängnis saß, übernahm S. die Gürtelherrschaft, bis dieser eben selbst vor zwei Jahren aus der Dominikanischen Republik kommend in U-Haft wanderte. (Michael Simoner, DER STANDARD, 7.4.2012)