Nicht weniger als acht Mal hat der türkische Staatschef Abdullah Gül diese Woche in einer Rede vor der Militärakademie in Ankara "erdemli" gesagt. "Tugendhaft" soll die Außenpolitik der Türkei sein, erklärte der Präsident unter Bezugnahme auf al-Farabi, einen frühislamischen Philosophen.

Es war Teil des laufenden Versuchs, der türkischen Außenpolitik angesichts des Arabischen Frühlings eine neue Identität zu geben. Gerechtigkeit und menschliche Werte sollen neben militärischer Sicherheit zählen, vom "Orientalismus" des Westens und von den ganz und gar nicht tugendhaften Nachbarn im Osten soll sich die Türkei unterscheiden: von Syrien, Iran, Irak, Israel.

Gül plädierte für eine aktive Diplomatie, aber auch für die militärische Bereitschaft seines Landes, was in der Türkei einige aufhorchen ließ. Es könnte als Vorbereitung der Öffentlichkeit auf die Einrichtung einer Pufferzone in Syrien, also einer militärischen Intervention gedacht gewesen sein.

Türkische Vermittlungsdiplomatie brüskiert

Das noch größere Problemthema der Türkei ist jedoch der Iran. Zwei Wochen nach dem Besuch von Tayyip Erdogan in Teheran stehen der Regierungschef und die türkische Vermittlungsdiplomatie reichlich brüskiert da. Führende Vertreter des iranischen Regimes haben sich mit einem Mal gegen Istanbul als Ort für die neuen Verhandlungen im Atomstreit nächste Woche ausgesprochen.

Dabei geht es um weit mehr als um die Kränkung eines Möchtegern-Gastgebers: Es zeigt, wie tief in Wahrheit das Zerwürfnis der beiden Regionalmächte Türkei und Iran ist; und wie wenig ernst es Teheran mit den Atomgesprächen meint, indem alternative Orte wie Damaskus oder Bagdad vorgeschlagen werden, die nicht akzeptabel für den Westen sind.

So verärgert war Erdogan, dass er dem Iran erstmals öffentlich Unehrlichkeit vorwarf. Bisher hat es Ankara auf die sanfte, die " tugendhafte" Tour versucht: Die Grauzone des iranischen Atomprogramms wurde weggeredet, die Gleichbehandlung des Iran zur Frage von Moral und Gerechtigkeit gemacht. "Ich kann nicht behaupten, dass Atomwaffen produziert werden", sagte Erdogan nach seiner Rückkehr aus Teheran bei einer Pressekonferenz. Denn: Ayatollah Ali Khamenei, Irans geistlicher Führer, habe es ihm so gesagt. Ein Muslim schwindelt keinen anderen Muslim an.

Als die IAEO im November 2011 ihren kritischen Bericht zu den Informationslücken im iranischen Atomprogramm und möglichen Indizien für ein militärisches Ziel abgab, ließ Ankara seinen Außenamtssprecher erklären, dass man zum derzeitigen Zeitpunkt eben nichts erklären könne: zu früh, zu komplex. Mittlerweile spricht Außenminister Ahmet Davutoglu von der Eventualität einer "militärischen Form" des iranischen Atomprogramms, die "unter Aufsicht gestellt und verhindert werden" müsse. Den iranischen Botschafter ließ er diese Woche ins Ministerium zitieren, um gegen Teherans Kritik an der jüngsten Syrien-Konferenz zu protestieren. Die fand auch in Istanbul statt. Ein Grund mehr für den Iran, die Vermittlungswut der Türken zu bremsen. (Markus Bernath aus Istanbul/DER STANDARD, 7./8./9.4.2012)