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Sebastian Kurz (re.) gastiert mit Integrationsbotschafterin Karina Sarkissova (mit Kreide) in der Neuen Mittelschule "Albert Schweitzer".

Foto: APA/MARKUS LEODOLTER

Manches wurde vergangene Woche über das Einjahresjubiläum der derzeit wohl größten ÖVP-Polithoffnung geschrieben. Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz wurde, auch im Standard, gelobt: für seine Präsenz und seine Umtriebigkeit, mit der er einen "Weg der Mitte - kein naiver linker Zugang, keine rechte Hetze" (Oliver Pink in der "Presse) beschreite.

Tatsächlich hat Kurz angesichts des von ihm beackerten, in Österreich schwierigen Themas Integration bisher Kommunikationsfähigkeit an den Tag gelegt: sachbezogen, wenig polemisch, nicht manipulativ. Dass er eine der höchsten Hemmschwellen für gelingende Integration im Staate Österreich nicht anspricht - die Härte und Unfairness des Fremdenrechts - liegt wohl weniger an ihm selbst als an seinem eng gefassten politischen Auftrag.

Diese Auftrags-Enge ist, vom Standpunkt einer ÖVP-Polithoffnung her betrachtet, klug: Sie erspart Kurz die Konfrontation mit dem Kern des Problems. Dieses drückt sich in Gesetzesform aus und hat einen breit verankerten Hintergrund: Das Fremdenrecht trägt vielfach fallenartige Züge, was tausende durchaus integrierte Nicht-EU-StaatsbürgerInnen existenziell bedroht - mit Platzverweis, sprich Ausweisung. Aber diese Fallenartigkeit drückt genau das aus, was Bevölkerung und Establishment in Österreich in weit höherem Ausmaß als in anderen europäischen Staaten wollen: wenig Migranten, am besten gar keine.

Unrühmlicher erster Platz

Letzteres hat im Herbst vergangenen Jahres die vergleichende "Europäische Wertestudie. 1990 - 2010" an den Tag gebracht, für die zwischen 2008 und 2010 in 45 Ländern die Meinung von 67.774 Personen zu 136 Fragen erkundet wurde. Die großangelegte Untersuchung ergab: Auf dem "Antipathie-Index MigrantInnen", der auf der Grundlage von Fragen über die "unerwünschtesten Nachbarn" errechnet wird, liegt Österreich mit einem Wert von 0,232 auf Platz eins. 

An zweiter Stelle befindet sich, im Vergleich ziemlich abgeschlagen, Italien: Antipathie-Index 0,171. Am offensten wiederum entpuppte sich Frankreich: Antipathie-Index 0,051. Die Index-Mitentwicklerin und Politologin Siglinde Rosenberger sieht die unrühmliche österreichische Vormachtstellung als Folge der Regierungsbeteiligung der FPÖ. Ausländerfeindliche Positionen seien dadurch hoffähig geworden, die Schleusen hätten sich geöffnet.

Nun hat, wer MigrantInnen ablehnt, logischerweise auch kein Interesse an ihrer Integration. Statt an gutnachbarliche Beziehungen zu denken, sinnt er/sie wohl eher nach Mitteln und Wegen der Abwehr. Und wenn ein Blick um sich dann verrät, dass Österreich de facto bereits ein Einwanderungsstaat ist, wird er/sie sich aufs Vergraulen verlegen - und aufs Schlechtreden und Schlechtmachen, Wüten und Toben. So, wie es hierzulande regelmäßig passiert, wenn "Ausländer-"Themen angesprochen werden. Vor allem, wenn sich die Wortführer anonym wähnen - siehe auch: Postings.

Österreichische Realitäten

Diese Hetze und Migrantenfeindlichkeit beschränken die Chancen auf erfolgreiche Integrationsmaßnahmen schwer. Sie sind ein Startdefizit für Integration. Doch Integrationsstaatssekretär Kurz spricht beides nicht offen an. Statt sich diesen bedenklichen österreichischen Realitäten zu stellen, startet oder erweitert er Projekte. Etwa jenes, das "bildungsferne" Migrantenkinder durch Hausbesuche aus der eigenen Community dem Lernen näherbringen soll.

Das ist gut und wichtig, aber angesichts der österreichischen Verhältnisse leider nicht genug. Der Soziologe und Integrationsexperte Kenan Güngör hat es im Standard-Interview angesprochen: "Es muss künftig auch um Integration durch Respekt gehen. Für Österreich mit seinem abwertenden, oft gehässigen Diskurs ist das besonders wichtig", sagte er. Genau hier würde die größte Herausforderung für Sebastian Kurz im zweiten Jahr als Integrationsstaatssekretär liegen. (Irene Brickner, derStandard.at, 7.4.2012)