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Großes Tennis: Nicolas Sarkozy und die Bühne.

Foto: Foto:Claude Paris/AP/dapd

Georges Pompidou, Staatspräsident von 1969 bis 1974, meinte einmal: "Les Français, il faut leur faire du théâtre!" - den Franzosen muss man ein Spektakel bieten. Verinnerlicht hat das vor allem der Kandidat Nicolas Sarkozy. Die Art, wie er sich vom Schwarzen Präsidenten-Peter zum chancenreichen Wiederwahlkandidaten hochgeangelt hat, ist hohe Wahlkampf-Kunst. Schauspielkunst.

Im Wissen um die katholische Landesseele spielte Sarkozy nach seiner Kandidaturerklärung wochenlang den reumütigen Büsser. Hoch und heilig verspricht er, im Falle eines Wahlsieges nie wieder auf einer Milliardärsjacht auszuspannen, nie wieder Zaungäste als "arme Deppen" zu beleidigen, nie wieder seinem Sohn einen Job zuzuschachern. "Ja, ich habe Fehler gemacht", bekannte er im Februar mit treuherzigem, um Verzeihung heischenden Blick, und gelobte, während seine Gattin Carla Bruni, ein millionenschweres Ex-Topmodel aus einer noch reicheren Industriellenfamilie, in die Fernsehkameras hauchte: "Wir sind bescheidene Leute."

Nach dieser Comédie Humaine bewies der Wiederwahlkandidat, dass er auch in der Bühnensparte Drama zu Hause ist. In der Affäre Merah in Toulouse wechselte er das Kostüm mehrmals am gleichen Tag. Am Morgen erklärte er den Islamisten mit hitzigen Worten den Krieg; zur Mittagszeit trat er im dunklen Massanzug vor die Kameras, um mit staatsmännischer Gemessenheit zur "nationalen Einheit" mit Moslems und Juden aufzurufen. Fürs abendliche Meeting warf er sich dann wieder in Wahlkampfmontur und warf ausgehend vom "fanatischen Monster", wie er den Täter nannte, Immigranten und Delinquenten flugs in einen Topf.

Performance zeigt Wirkung

Der Leitartikler der grossen Regionalzeitung Sud-Ouest, Bruno Dive, zollt dieser bühnenreifen Leistung ironischen Respekt: "Chapeau, Herr Schauspieler!" Denn Sarkozys Performance zeigt langsam Wirkung. In den Umfragen kommt der Gaullistenpräsident seinem Rivalen François Hollande immer näher. Der Sozialist schauspielert nicht, er argumentiert faktuell, jongliert mit Zahlen und Zeitplänen - und weckt Langeweile. Sarkozy hingegen inszeniert, wie auch Jean-Luc Mélenchon von der Linkspartei, ein tägliches Spektakel, und beide legen in den Umfragen zu.

Weil die Franzosen "bekloppt" sind, wie mir ein französischer Journalistenkollege diese Woche sagte? Im Gegenteil, die Stimmbürger der Grande Nation wissen sehr genau, wie der Hase läuft. Sie mögen dem Präsidenten die Irrtümer verzeihen, sie anerkennen seinen Einsatzwillen, sie verleihen ihm in den Umfragen ein paar Punkte (nicht zuletzt, um es spannend zu machen!) - aber das heisst noch lange nicht, dass sie ihn auch wiederwählen werden. Denn sie unterscheiden sehr genau zwischen dem Präsidentschaftswahl-Theater, das sie verfolgen wie ein Hahnenkampfturnier, bei dem am Schluss nur der stärkste Gockel überlebt - und der harten Landeswirklichkeit. Und daran werden die Franzosen am Wahltag denken. In der Wahlkabine, fern von dem ganzen Wahlkampftheater, fern auch von allen Umfragen, werden sie sich schliesslich für denjenigen Kandidaten entscheiden, der ihnen am besten geeignet scheint, die gravierenden Probleme des Landes zu meistern. Dann gilt es ernst. Vorher wollen sie aber noch etwas haben fürs Steuergeld. (Stefan Brändle, derStandard.at, 9.4.2012)