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Sie hat es wieder getan: ein neues Buch veröffentlicht. Die Rede ist von der deutsch-türkischen Soziologin Necla Kelek, die vor allem mit dem Buch "Die fremde Braut" bekannt wurde und seitdem aus der deutschen Integrationsdebatte nicht mehr wegzudenken ist. Noch vor Sarrazins umstrittenen Thesen hat sie Multikulti-Illusionen angeprangert. Ihr neues Buch "Chaos der Kulturen", eine Sammlung ausgewählter Reden und Schriften der Soziologin, geht auch in diese Richtung. Kritiker werfen Kelek unsachliche und emotional aufgeladene Verhetzung gegen den Islam vor. Sie verwechsle Islam-Bashing mit Islamkritik und leite aus Einzel- und Extremfällen generelle Verhaltensmuster für eine gesamte Bevölkerungsgruppe ab.

Ja, auch in ihrer neuesten Publikation bedient sich Kelek der Polemisierung und Pauschalisierung, sanfte Töne anzuschlagen ist nicht ihre Sache. Sie muss auch gar nicht leise und sanft Kritik üben, denn Keleks Kritik, dass man in Deutschland zu viel Toleranz für patriarchale Strukturen im Namen der Religionsfreiheit und kultureller "Eigenheiten" aufbringe, ist trotz der polemisierenden Sprache berechtigt. Islamkritik sollte und muss in der Debatte um Integration und verfehlte politische Lösungsansätze ihren Platz haben.

Kelek übt zu Recht Kritik am Einfluss der Islamverbände und Moscheevereine, insbesondere der Islamkonferenz, der in der offiziellen Migrationspolitik zu viel Spielraum gewährt werde. Auch den Politik-Tourismus türkischer AKP-Regierungspolitiker, die in regelmäßigen Abständen türkischstämmige Migranten in Deutschland oder Österreich an deren kulturelle Wurzeln erinnern und vor zu viel Anpassung warnen, kritisiert sie (ebenfalls nicht unberechtigt) als integrationshemmende, kontraproduktive Politik der Einmischung.

Probleme benennen

Sie kritisiert auch zu Recht, dass Gewalt gegen Frauen, Zwangsverheiratung, Rassismus, Antisemitismus innerhalb der muslimischen Community von diesen Verbänden verschleiert oder relativiert werden. "Die Türken sollen sich eingestehen, dass sie ein Problem mit Integration haben", meint Kelek. Dabei sind es für sie nicht die ersten Gastarbeiter, die das Integrationsproblem ausmachen, sondern diejenigen, die ab den 1970ern im Rahmen der Familienzusammenführung nach Deutschland kamen. "Die neuen Einwanderer brachten das anatolische Dorf und die Moschee nach Deutschland", schreibt sie.

"Import-Bräute", viele davon minderjährig, leben ihrer Ansicht nach in Parallelstrukturen, entmündigt, mit mangelnden Deutschkenntnissen, geringer Bildung und an den Familienverband gebunden. Auch die hier aufgewachsenen Türkinnen lebten zwischen zwei Welten und hätten oft mit der traditional-patriarchalischen Weltanschauung ihrer Eltern und der daraus resultierenden Unterdrückung zu kämpfen, stellt Kelek fest. Das sind gravierende Probleme, die angesprochen werden müssen, statt darüber zu schweigen. Kelek hat recht, wenn sie es verurteilt, dass Mädchen und junge Frauen aus Rücksicht auf kulturelle Normen der Eltern und Familien nicht am Sport- oder Schwimmunterricht oder an Schulexkursionen teilnehmen dürfen oder auf Schritt und Tritt von männlichen Verwandten bewacht werden.

"Kulturelle Prägungen"

Das Problem an ihrer Argumentation ist aber nicht nur das Element der Polemik, die teilweise auch diffamierende Züge annimmt, wenn sie Sodomie, sexuellen Missbrauch und häusliche Gewalt speziell mit der islamischen Kultur in Verbindung bringt. Kelek macht hauptsächlichdie "kulturelle Prägung" des Islams für Integrationsproblematiken verantwortlich. Sie schreibt, dass der Islam, im Gegensatz zum Christentum, nicht dem Individuum den Vorrang gebe, sondern der Gesellschaft, dass er als "Lebensanweisung" gelte.

Aber Kelek übt Kritik am Islam und patriarchalen Strukturen, indem sie das Christentum und die westliche Kultur auf ein Podest stellt. Sie schreibt vom "Christenmenschen", der nicht unterwürfig, gottesfürchtig, abergläubisch und rückständig sei und "durch die Entdeckung des Gewissens zum verantwortlichen Einzelnen wird". Die Aufklärung ist für Kelek eindeutig christlich und der "Weltgeist der Vernunft" nach dem Vorbild der Antike und den Eckpfeilern der individuellen Rechte des Menschen wie der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung oder der Französischen Revolution eindeutig westlich geprägt.

Aber der aufklärerische Gedanke sollte sich im 21. Jahrhundert nicht mehr vorrangig mit einer postulierten moralischen und zivilisatorischen Überlegenheit des Christentums oder des Westens brüsten müssen, vor allem wen man bedenkt, unter welcher Prämisse die westlich-christlichen "Entdecker" in die "neue Welt" aufgebrochen sind und welche gravierenden Folgen der Kolonialismus für die indigenen Bevölkerungen und kolonialisierten Gebiete hatte und teilweise immer noch hat.

Gut integrierte Türken

Zurück zu Kelek und dem Problem der nicht integrierten Türken in Deutschland. Viele ihrer Kritiker übersehen, dass Kelek auch Integrationserfolge von gut integrierten Türken erwähnt. Die Soziologin schreibt, dass von den über 2,5 Millionen türkischstämmigen Bürgern "viele eine neue Heimat" in Deutschland gefunden hätten und mittlerweile "wichtiger Teil der Gesellschaft" geworden seien, dass es nicht nur "Hartz-IV-Türken", den Gemüsehändler oder den Moscheegänger mit der Gebetskette gebe, sondern auch Ärzte, Kaufleute, Schriftsteller und Filmemacher. An ihrer ruppigen Kritik will sie dennoch festhalten, auch wenn sie weiß, dass nicht alle Muslime ihre Töchter zu Hause einsperren und nicht alle integrationsverweigernde Sozialschmarotzer sind.

Ihre Kritik an der türkischen beziehungsweise auch der kurdischen Community in puncto der immer noch viel zu häufig vorkommenden physischen oder psychischen Gewalt an Frauen und den patriarchalen Strukturen, die zur Unterdrückung und Ungleichstellung der Frauen führen, ist wichtig, auch wenn sie polemisch geäußert wird. Die muslimischen Verbände und Vereine sollten sich diesen Problemen widmen und Ehrenmorde, Zwangsverheiratung und jegliche frauenverachtende und unterdrückende "Traditionen" verurteilen.

Nicht nur Vereinspolitik

Schließlich sollte Integrationspolitik auch nicht ausschließlich als Vereinspolitik missverstanden und betrieben werden. Das Händeschütteln mit meist männlichen Vereinsvertretern und das Buhlen um die Gunst der Vereine ist auch in Österreich ein Zeichen einer falsch verstandenen Migrationspolitik, denn da werden Vereine und Verbände als Repräsentanten einer ganzen Bevölkerungsgruppe gesehen und sowohl medial als auch politisch mit zu viel Aufmerksamkeit bedacht.

Für die Integrationsdebatte, sowohl in Deutschland als auch in Österreich, wäre es aber gut, wenn in Zukunft solche Probleme angesprochen werden, ohne auf Diffamierungen und banale Stereotypisierungen zurückgreifen zu müssen. Und wenn Nationalismus, Rassismus und Intoleranz weder der Migranten-Communitys (nicht nur der muslimischen) noch der Mehrheitsbevölkerung ausgeblendet werden. Das soll nicht heißen, dass Integrationsprobleme kleingeredet werden sollen, aber die Debatte, so wie sie jetzt ist, festgefahren zwischen Verdammung und Romantisierung von bestimmten Migrantengruppen, führt nur zu einer Endlosschleife an emotional aufgeladenen und gleichzeitig stillstehenden Diskursen. (Güler Alkan, daStandard.at, 11.4.2012)