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Ein Aktivist demonstriert vor dem ICC-Gebäude in Den Haag für eine Anklage gegen Syriens Staatschef Bashar al-Assad. Bisher ist das Gericht dafür nicht zuständig. Der Sicherheitsrat müsste den Fall an ihn überweisen - das blockieren Russland und China.

Foto: EPA/ROBIN UTRECHT

Als am 11. April 2002 zehn Staaten gleichzeitig die Ratifikationsurkunden des Rom-Statuts bei den Vereinten Nationen in New York hinterlegten, wurde eines der ambitioniertesten Projekte der vergangenen Jahrzehnte Wirklichkeit: der Internationale Strafgerichtshof. Die 60 notwendigen Ratifizierungen waren erreicht. Menschenrechtler, UN-Spitzenvertreter und europäische Politiker feierten die Gründung des ICC als "Meilenstein" und "historisches Ereignis".

Heute, zehn Jahre später, hat das Gericht vor kurzem sein erstes Urteil gegen den kongolesischen Milizenführer Thomas Lubanga gesprochen: schuldig, weil er Kindersoldaten rekrutierte. Es gibt Verfahren gegen Beschuldigte in Kongo-Kinshasa, Uganda, Kenia und Zentralafrika, in Libyen und Côte d'Ivoire. Der Haftbefehl gegen Sudans Präsidenten Omar al-Bashir 2009 galt als Zäsur, war es doch das erste Mal, dass der ICC gegen ein amtierendes Staatsoberhaupt vorging. Und trotzdem fragen Kritiker: Reicht das?

Gerade angesichts der Verbrechen in Syrien wird der Ruf nach dem Strafgerichtshof lauter. Die UN-Menschenrechtskommissarin Navanethem Pillay, früher selbst Richterin am ICC, hat den UN-Sicherheitsrat mehrfach aufgefordert, das Gericht mit der Lage in Syrien zu betrauen: Es gebe genug Belege für Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Doch drei der Veto-Mächte gehören dem Gericht bis heute nicht an: die USA, Russland und China. Und die beiden Letzteren, allen voran Syriens Verbündeter Russland, blockieren jeden Versuch in diese Richtung.

Solange es um Fälle geht, die nicht von einem ICC-Vertragsstaat oder auf dem Staatsgebiet eines solchen begangen worden sind, ist das Gericht darauf angewiesen, dass der Sicherheitsrat ihn mit einer Untersuchung beauftragt - und damit ist die eigentlich unabhängige Institution auch abhängig von politischen Interessen. " Universalität des Gerichts bleibt das Ziel, aber sie ist noch lange nicht erreicht", sagt ein Beobachter.

Vom Gegner zum Helfer

Dass der Sicherheitsrat bereits zwei Fälle an den Gerichtshof überwiesen hat - Sudan und Libyen -, gilt dennoch als Zeichen, dass der ICC auch bei seinen Nicht-Mitgliedern immer größere Akzeptanz genießt. William Pace von der Koalition für den ICC, einer Dachorganisation von 2500 NGOs weltweit, verweist vor allem auf den Schwenk der USA: "Die Bush-Regierung hatte dem Rom-Statut den Krieg erklärt. Nach vier Jahren fingen sie hinter den Kulissen an, mit dem ICC zu kooperieren." Etwa beim Zeugenschutz oder Informationsaustausch.

Seit Barack Obama Präsident ist, besuchen US-Diplomaten die Treffen der ICC-Staaten. Von Obstruktion keine Rede mehr. Pace: "Die kleinen und mittleren Demokratien haben gezeigt, dass sie eine neue Institution aufbauen können und diese sehr wichtig sein kann, selbst wenn die größten Mächte außen vor bleiben."

Chefankläger Luis Moreno Ocampo, der sein Amt im Juni an Fatou Bensouda aus Gambia abgeben wird, verweist gerne auf den Abschreckungseffekt. "Die Machthaber wissen nun, dass sie verfolgt werden, wenn sie Verbrechen begehen." Die Hoffnung, dass der ICC in Zukunft auch schlimmste Gräueltaten verhindern könnte, findet sich schon in der Präambel des Rom-Statuts.

Doch das ist nicht immer leicht. Eine mögliche Strafverfolgung durch den ICC habe die Kämpfer bei den blutigen Nachwahl-Unruhen in Côte d'Ivoire 2011 nicht von Verbrechen abgehalten, berichtet Ali Ouattara, Koordinator der Koalition für den ICC in Côte d' Ivoire. Und das, obwohl Moreno Ocampo noch während des Konflikts Untersuchungen ankündigte. Côte d'Ivoire hatte sich 2003 der Gerichtsbarkeit des ICC unterworfen, ohne Vertragsstaat zu sein.

Der ehemalige Präsident und Wahlverlierer, Laurent Gbagbo, ist im November an den Gerichtshof überstellt worden. Die Vorverfahrenskammer soll im Juni über die Anklage wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit entscheiden. Dass sich bisher nur die Verlierer-Seite zu verantworten habe, trotz schwerer Vorwürfe gegen Anhänger des jetzigen Präsidenten Alassane Ouattara, habe dem ICC in Teilen der Bevölkerung zudem den Vorwurf der Siegerjustiz eingebracht, so Ouattara.

Dass sich Machthaber auch dann noch immun wähnen, wenn sie schon längst im Verdacht stehen, ICC-relevante Verbrechen begangen zu haben, liegt auch daran, dass sich eine Reihe Beschuldigter weiter auf freiem Fuß befinden - allen voran Omar al-Bashir, der selbst nach dem Haftbefehl noch ICC-Staaten wie Kenia und Djibouti bereiste. Bei der Umsetzung der Haftbefehle ist das Gericht auf die Länder angewiesen.

Rechtsexperten und Diplomaten raten zu Geduld. "Ein ständiger Gerichtshof hat einen langen Atem." Die Haftbefehle könne man nicht aussitzen. Und selbst, wenn es Jahre dauere: " Irgendwann klicken die Handschellen." (Julia Raabe, DER STANDARD, 11.04.2012)