Viele Mitarbeiter werfen unter Stress Pillen ein oder arbeiten, obwohl sie krank sind.

Foto: Pixelot - Fotolia

Bild nicht mehr verfügbar.

Grafik: APA

Psychisch bedingte Erkrankungen sind auf dem Vormarsch. Die Anzahl der durch Burn-out oder Depressionen begründeten Krankenstände hat sich seit zwanzig Jahren fast verdoppelt. Vor allem Ältere und Frauen im Dienstleistungsbereich sind betroffen, so eine von der Arbeiterkammer (AK) in Auftrag gegebene Studie von WIFO und Donauuni Krems. Für die AK wäre das Grund genug, jedem Beschäftigten Zugang zu psychologischer Betreuung zu ermöglichen. Mit einer Verankerung derselben im Arbeitnehmerinnenschutzgesetz will AK-Präsident Herbert Tumpel jene "Erfolgsstory" wiederholen, die es bereits bei der sinkenden Zahl von Arbeitsunfällen gegeben hat.

Migranten leiden häufiger

"Termindruck, Überstunden, wechselnde Arbeitsabläufe" sind nur einige wenige Dinge, die in der Studie als psychische Krankmacher bezeichnet werden. "Es trifft Frauen und Männer aller Schichten, aber Frauen in höherem Maße", so Co-Studienautorin Gudrun Biffl von der Donauuni Krems in einer Pressekonferenz. Grund sei das Rollenbild der Frau, die neben dem Job mehr in Kinder- und Altenbetreuung eingespannt sei als der Mann.

Geschlechterübergreifend gelte aber: Ältere leiden eher als Jüngere, Migranten häufiger als in Österreich Geborene. Und: Jene, die intensiv andere Personen betreuen (Pflegerinnen, Lehrer), sind häufiger in psychischer Behandlung als technische Fachkräfte (Bauarbeiter, Kfz-Mechaniker). Dass der Dienstleistungssektor häufiger betroffen ist, hat auch mit der niedrigeren Entlohnung zu tun. Das Einstiegsgehalt einer Altenpflegerin liegt unter dem eines Maurers. Für Biffl leistet das der "Prekarisierung im Dienstleistungssektor" Vorschub.

1,2 Prozent des BIP auf dem Spiel

Der Studienautorin macht aber auch der volkswirtschaftliche Schaden Sorgen: "40 bis 50 Prozent aller Krankenstandsfälle haben auch einen psychischen Hintergrund." Und das sei nur die halbe Miete, denn vor allem in wirtschaftlich unsicheren Zeiten steige der sogenannte "Präsentismus". "Menschen arbeiten, obwohl sie krank sind. Damit nimmt ihre Produktivität auch ohne Krankenstand ab", so Biffl. Stress oder Mobbing würden zudem körperliche Krankheiten wie Bluthochdruck, Kopfschmerzen oder Schlafstörungen fördern. Auf 0,7 Prozent des BIP hätten sich 2009 die direkten Kosten für psychische Betreuung in Österreich summiert. Rechnet man indirekte Effekte wie einspringende Kollegen dazu, erreiche man 1,2 Prozent des BIP. "Das sind 3,3 Milliarden Euro, für Österreich nicht wenig Geld", mahnt Biffl.

500 Psychologen österreichweit

Dass sich die Wirtschaft mit verpflichtenden Arbeitspsychologen anfreunden kann, davon ist AK-Präsident Tumpel überzeugt. "Wir Sozialpartner haben ja das Ziel, das Pensionsantrittsalter zu erhöhen." Arbeitende, die Spaß an ihrer Tätigkeit hätten, würden seltener krank werden oder sich in die Invaliditätspension verabschieden. Laut Statistik Austria ist die Zahl der Personen, die aus psychischen Gründen als erwerbsunfähig gelten, von 59.600 (2002) auf 98.800 (2010) gestiegen.

Daher wären für Tumpel die Kosten dieses erweiterten Arbeitnehmerschutzes in der Höhe von 46 Millionen Euro, sie würden für 500 Arbeits- und Organisationspsychologen anfallen, gerechtfertigt. Jeder investierte Euro fließe drei- bis vierfach zu den Unternehmen zurück. Man stehe mit Wirtschaftskammer und Industrie bereits "in Diskussion". Die restlichen Kosten, rund 20 Millionen Euro, müsse der Staat zahlen. Zehn Millionen davon entfallen auf die Forschung, der Rest auf die psychologische Betreuung in Betrieben mit weniger als 50 Mitarbeitern.

Dass die Politik den dringenden Handlungsbedarf erkennt, darauf hofft auch Studienautorin Biffl: "Dass Ältere häufiger psychisch krank sind, sollte in einer alternden Gesellschaft zu denken geben." (sos, derStandard.at, 11.4.2012)