Foto: Andreas Hackl
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Wenn die 21-jährige Palästinenserin Amal Khatib ihren Körper über die Bühne bewegt, ist das nicht nur leidenschaftlicher Tanz, sondern auch ein persönliches Auflehnen.

"In der palästinensischen Gesellschaft werden Dinge hinter Regeln versteckt. Die persönliche Freiheit kommt dabei zu kurz. Der weibliche Körper ist hier ein gesellschaftliches Werkzeug. Doch wenn ich tanze, zeige ich, dass dieser Körper nur mir gehört", sagt Amal erschöpft während einer Tanzprobe für das bevorstehende Ramallah Contemporary Dance Festival (RCDF), das zwischen 19. April und 3. Mai wieder einmal einige palästinensische Großeltern aus den Socken heben wird.

Denn das, was für Amal Khatib und ihre Kolleginnen zum Lebensinhalt geworden ist, nehmen viele als Bedrohung altbewährter gesellschaftlicher Normen wahr. "In Palästina ist Tanzen kein Beruf. Sage ich als Frau, ich bin Tänzerin, denkt jeder an Bauchtanz und Prostitution. Sagt es ein Mann, gilt er als schwul", sagt Amal, die selbst einen Kampf mit ihrer Familie austrägt.

Kein Geld für modernen Tanz

Nach ihrem Betriebswirtschaftsstudium könne ihre Familie nicht ganz einsehen, dass sie nun Tänzerin ist und später einmal Choreografin werden will. Eine Tante habe sogar den Kontakt zu ihr abgebrochen. Andere Tänzerinnen aus ihrer Gruppe mussten ihren Traum bereits aufgeben, der Druck der Familie war zu groß. Doch dem Traum sind auch andere Grenzen gesetzt, denn für modernen Tanz gibt es in Ramallah kein Geld. Amal und ihre Kolleginnen trainieren zurzeit fünmal die Woche, vier Stunden am Tag, unbezahlt. Die einzige Perspektive sind Residenzen an ausländischen Bühnen. So war Amal etwa im Libanon und in Holland.

"Diese Aufenthalte sind wichtig. Weil wir außer einer Choreografin keine professionellen Tanzlehrer hier haben, müssen wir uns gegenseitig die jeweiligen Stile beibringen, die wir im Ausland gelernt haben", sagt sie.

Das Stück der Gruppe für das bevorstehende Festival wäre kein palästinensisches, wenn es sich nicht auch um Politik drehen würde. Die Körper der Tänzerinnen erzählen dabei eine besondere Geschichte. "Großeltern erzählen darin ihrer Enkeltochter von ihrem jungen Leben, ihrer Liebesgeschichte, aber auch von negativen Erfahrungen wie der Erniedrigung an israelischen Kontrollpunkten", sagt Amal. Hinter einer Szene stehe die Geschichte der Enkeltochter, die vor ihren Großeltern einen Kuchen backt. Als sie den Kuchen in der Mitte durchschneidet, vergleicht der Großvater das mit der Teilung des historischen Palästina.

"In der Szene backe ich den Kuchen mit meinem Körper. Ich bewege mich, falle auf den Boden und rühre den Teig mit den Händen", erklärt Amal. "Tanzen ist für mich so wichtig geworden. Wenn ich nicht gut tanze, dann esse ich auch nicht gut." (Andreas Hackl, derStandard.at, 11.4.2012)