"Die Lehrer müssen so ausgebildet werden, dass sie die Lesekompetenz ganz früh vermitteln."

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STANDARD: Die Statistik Austria lobt in ihrem aktuellen Bildungsbericht die "solide Sekundarausbildung" im österreichischen Schulsystem. Auch der Anteil der Hochschulabsolventen steigt. Kein Grund zur Klage also, oder?

Ilse Schrittesser: Wir haben aber gleichzeitig einen hohen Anteil an funktionalen Analphabeten, das heißt an Kindern, die mit 14 bis 15 Jahren die Pflichtschule verlassen und nicht sinnerfassend lesen können. Der europäische Schnitt liegt hier bei etwa 25 Prozent. Österreich ist deutlich darüber mit einer Dunkelziffer von mehr als 30 Prozent. Da besteht höchster Handlungsbedarf.

STANDARD: Was ist zu tun?

Schrittesser: Die Lehrer müssen so ausgebildet werden, dass sie die Lesekompetenz ganz früh vermitteln - weil das auch die Grundlage für andere Kompetenzen darstellt. Die Pflichtschule kompensiert hier nicht ausreichend. Noch besser wäre es, wenn schon in der Elementarpädagogik, also im Kindergarten, angesetzt würde. Dazu braucht es akademisch ausgebildete Pädagoginnen und Pädagogen.

STANDARD:  Die Bildungsministerin hat dazu eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen. Wie sind Sie mit deren Ergebnissen zufrieden ?

Schrittesser: Die greifen die wesentlichen Punkte heraus wie etwa die Empfehlung zur durchgehenden Akademisierung der Ausbildung. Dazu gilt es bessere Kooperationsformen zwischen den Bildungsinstitutionen, die Lehrerinnen und Lehrer ausbilden, zu ermöglichen.

STANDARD:  Wie müsste das neue Selbstverständnis der Lehrer sein?

Schrittesser: Lehrer müssten sich als öffentlich begründungspflichtige Personen sehen. Andererseits sind sie auch dem individuellen Kind verpflichtet und müssen nach dessen individuellen Bedürfnissen handeln.

STANDARD:  Da hat sich aber noch wenig geändert. Was erwarten Sie sich vom laufenden Pisa-Test?

Schrittesser: Die Ergebnisse werden nicht besser werden, solange sich strukturell nichts ändert. In Hinblick auf den Europastandard ist es nicht nachvollziehbar, warum mit zehn Jahren eine Bildungsentscheidung getroffen werden muss, die so grundsätzliche Weichenstellungen vornimmt. Es ist ja nicht so, dass die Leute, die akademisch interessierter sind, ins Gymnasium gehen und die handwerklich Interessierten in die Hauptschule. Entscheidend ist die soziale Herkunft der Kinder. Und das kann's nicht sein, da verlieren wir auch Leistung. (Karin Riss, DER STANDARD, 11.4.2012)