Der "Equal Pay Day", der gesellschaftliche Aufmerksamkeit auf die Tatsache lenken will, dass Frauen aktuell noch immer durchschnittlich 25 Prozent weniger verdienen als Männer, geriet dieses Jahr medial unter Beschuss. In verschiedenen Zeitungsberichten war zu lesen, dass es sich bei der Lohndifferenz von 25 Prozent um einen "Mythos" handle, da ökonomische Studien ermittelt hätten, dass ein Großteil dieser Differenz durch verschiedene Faktoren wie z. B. Beschäftigung in unterschiedlichen Berufen und Branchen "erklärbar" sei.
Tatsächlich werden in der Ökonomie Standardmethoden zur Untersuchung von Diskriminierung herangezogen, die es erlauben, Lohnunterschiede zwischen Bevölkerungsgruppen auf verschiedene Ursachen zurückzuführen, also zu "erklären". Diese Methoden erlauben es zum Beispiel, den Einfluss von Karenzzeiten, Beruf und Branche auf die Löhne von Frauen zu quantifizieren. Für den "Equal Pay Day" und dessen Bedeutung haben diese Berechnungen jedoch keine Konsequenzen, denn "erklärbar" bedeutet nicht "gerecht".
Internationale Studien zeigen etwa, dass Frauen wegen kinderbedingter Erwerbsunterbrechungen weniger verdienen. Allerdings werden viele Frauen aufgrund von gesellschaftlichen Rollen und mangelnden Kinder betreuungseinrichtungen zu solchen Unterbrechungen gezwungen. Die resultierenden Einkommenseinbußen sind daher kaum als gesellschaftspolitisch "gerecht" zu bewerten. Vielmehr gilt es, gesellschaftliche Verhältnisse zu hinterfragen, in denen Frauen oft nicht nur alleine die Versorgungsarbeit leisten müssen, sondern anschließend auch noch durch geringere Löhne am Arbeitsmarkt bestraft werden.
Gründe für ungleiche Löhne
Auch Beruf und Branche sind laut ökonomischen Studien Faktoren, die das Einkommen von Frauen drücken. Das ist zwar aus wissenschaftlicher Perspektive interessant, das Problem ist jedoch: Zahlreiche Untersuchungen zeigen, dass gleich qualifizierte Frauen (übrigens so wie MigrantInnen und andere gesellschaftliche Minderheiten) bei der Stellenbesetzung übergangen werden, wenn sie gut bezahlte, männerdominierte Berufe ergreifen wollen. Frauen haben also nicht denselben Zugang zu allen Berufssparten und können daher selten die mancherorts erwirtschafteten höheren Einkommen erzielen.
Aus politischer Perspektive ist es zentral, von realen gesellschaftlichen Verhältnissen auszugehen und nicht von einer hypothetischen Situation, in der Frauen und Männer den gleichen Zugang zu gut bezahlten Stellen hätten. Und es ist ein Verdienst des Equal Pay Day, darauf hinzuweisen, dass die aktuelle gesellschaftliche Situation Frauen nur Beschäftigungsverhältnisse ermöglicht, in denen sie um ein Viertel geringere Einkünfte erzielen als Männer.
Ökonomische Studien müssen daher so gelesen werden, dass sie verschiedene Gründe für ungleiche Löhne identifizieren und deren Bedeutung quantifizieren. Sie geben darüber Aufschluss, an welchen Drehscheiben die Politik schrauben kann, um eine ökonomische Gleichstellung von Frauen und Männern zu erreichen. Das sind zum Beispiel: ausreichende Kinderbetreuung, Förderung gleicher Chancen von Frauen bei der Stellenbesetzung und Beförderung, Eliminierung von Lohndiskriminierung.
Wie die ökonomischen Untersuchungen zeigen, bleibt daher eine Menge zu tun, bis die aktuelle Lohndifferenz von 25 Prozent ausgeräumt ist und der "Equal Pay Day" tatsächlich seine Berechtigung verloren hat. (Doris Weichselbaumer, DER STANDARD, 12.04.2012)