Die STANDARD-Wochenendbeilage vom 7./8./9. April bringt einen Kommentar von Richard Schuberth, einem renommierten Publizisten und Bühnenautor, der sich in Wirken und Werken dem Bemühen um sprachliche Präzision verschrieben hat.

Oberflächliche Betrachtung

Richard Schubert stellt die Frage nach der Sinnhaftigkeit des Terminus "Migrationshintergrund" (MH) und unterstützt SOS Mitmensch im Bestreben, den MH gänzlich zu verweigern, denn der MH sei das Problem, dessen Ursache der MH ist.

Oh, wie sehr fühlen wir uns bei solchen Zusammenhängen an feministische Diskurse erinnert. Die Geschlechterfrage ist das Problem, das niemals auftreten könnte, gäbe es nicht den kleinen, aber feinen Unterschied zwischen den Geschlechtern, den zu thematisieren allein schon ein Problem darstellt.

Textästhetik als Vorwand dafür zu gebrauchen, den Terminus "Migrationshintergrund" abzulehnen, erscheint mir ebenso oberflächlich wie die Polemik rund um das Binnen-I. Sieht etwas hässlich aus oder hemmt es den individuellen Lesefluss?

Gesellschaftspolitische Probleme, auf dieser Ebene diskutiert, bleiben lediglich einem sehr kleinen DünkelbürgerInnentum vorbehalten. Wobei SprachwissenschaftlerInnen noch ein wissenschaftsspezifisches Interesse glaubhaft machen können. Alle hobbymäßigen SprachästhetInnen wirken in ihren Argumentationen leicht unglaubwürdig oder nicht ganz sattelfest, wenn sie abgleiten in "Wie denn das ausschaut?!" oder "Wenn ich das schon lese!".

Sprache spiegelt Machtverhältnisse

"Migrationshintergrund" wirbt als Terminus technicus wie das "Mitgemeintsein" als sozialintegrative Methode um Verbindlichkeit, um Neutralität und um politische Korrektheit. Allein, so sehr Soziologie und Stammtisch einander auch zufrieden zuprosten mögen: Diejenigen, die Terminologien und Methoden ständig in Frage stellen und konkreter die Begrifflichkeit klären, ändern oder abschaffen wollen, sind das Sand und nicht das Öl im Getriebe unserer modernen, gerechten Alles-ist-möglich-Gesellschaft.

Sprache vermittelt uns nach wie vor nicht nur den Geist der Kultur, in der wir leben, sondern sie lässt auch keinen Zweifel über bestehende Machtverhältnisse. Beim Migrationshintergrund geht es darum, wie die in der Gesellschaft Potenten, die Mächtigen, "diese (anderen) Menschen" benennen. Und dass wir sie benennen müssen, stellt kaum jemand in Frage.

Beim Mitgemeintsein geht es nicht einmal mehr darum. Denn warum sollten wir diejenigen, die ohnehin am Papier in allen Rechten und Pflichten gleich sind, anders benennen? Wie Andreas Khol im "Club 2" einmal so schön sagte: "Also dieses ewige 'Innen', das geht mir schon auf die Nerven!"

Repräsentative Teilhabe

Von der Diskussion über das Genanntsein und über das Wie-Genanntsein ist es nicht mehr weit bis zur ersten Forderung nach einer Quote, nach repräsentativer Teilhabe an allen Bereichen der Gesellschaft. Dass auch hier die Vernunft nicht waltet, sehen wir daran, dass ernsthaft diskutiert wird, ob eine 25-Prozent- oder eine 40-Prozent-Quote eine entsprechende Quotierung für jene darstellt, die eindeutig mehr als 50 Prozent der Bevölkerung in Österreich ausmachen. Und da geht es noch lange nicht um gerechte Güterverteilung, tja, und noch nicht einmal um die gerechte Aufteilung der Pflege- und Versorgungsarbeit, die in der Freizeit von beiden Geschlechtern zu gleichen Teilen zu leisten wäre.

So lese ich denn den Kommentar von Richard Schubert noch einmal mit Genuss und frage mich, ob die Kategorisierung von Menschen tatsächlich nur durch administrativen Handlungsbedarf provoziert wird.

Differenzierung, ein menschliches Bedürfnis?

Oder ist es ein menschliches Grundbedürfnis, Differenz zu markieren und uns so selbst über andere zu erheben, zum Beispiel über jene mit MH oder über jene, die uns als Prostituierte in zahllosen Laufhäusern nur bei akutem Bedarf unter die Augen und in die Finger kommen? Wir blicken auf sie herab, wenn wir Zeit haben, uns mit solcherlei Belangen zu beschäftigen. In unserem "normalen Leben" kommen sie uns kaum in den Sinn.

Sind wir nicht alle Menschen, die sich nach ein bisschen Wellness sehnen, sei es durch eine kulturelle Bereicherung unseres trockenen Alltags mit geschulten MH-Menschen, die im Wellness-Sektor überdurchschnittlich häufig Serviceleistungen erbringen, oder durch einen raschen Klick und ein paar unschuldige Blicke auf unser Handy, wo sich süße Mitgemeinte in nicht bös gemeinten Pornoclips beinah täglich räkeln oder schinden? Sie sind nicht wirklich Teil unseres Lebens. Wir konsumieren sie, weil sie sich dazu bereit erklären.

Den ethnisierenden, kulturalisierenden und rassistischen Zuschreibungen sind keine Grenzen gesetzt. Wir berufen uns auf unser Selbstbestimmtsein und wählen Bezeichnungen für jene, die anders sind als wir. Für Menschen mit Migrationshintergrund gilt die Unschuldsvermutung, auch wenn uns der Hinweis auf ihren Hintergrund bei näherem Hinsehen nachdenklich stimmt.

Über die Ungenannten lohnt es sich nicht nachzudenken. Seit Jahrhunderten sind sie ungenannt und mitgemeint in allen möglichen Sprachen. Immer wieder einmal kommt die eine oder andere mit ihren feministischen Allüren heraus und erreicht in den seltensten Fällen eine breite Öffentlichkeit. Wir nennen sie dann Kampfemanze oder frustrierte Hausfrau.

Im Kommentar darüber, wie Othello zu seinem Hemd kam, waren wir jedenfalls - dessen bin ich mir sicher - mitgemeint. Oder? (Eva Surma, derStandard.at, 12.4.2012)