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Auch beim Düsseldorfer Karneval war das iranische Atomprogramm ein Thema.

Foto: AP/dapd/Frank Augstein

Am Wochenende soll es also weitergehen, das Katz-und-Maus-Spiel rund um das iranische Atomprogramm: Am Tagungsort Istanbul - Teheran hat sich mit seiner politisch und sicherheitstechnisch originellen Idee, man könne sich ja auch in Bagdad treffen, nicht durchgesetzt - werden Vertreter Irans und der P-5+1 wieder einmal verhandeln (die Formel P-5+1 heißt: P-5 = die Permanent Five, also die fünf Vetomächte im Uno-Sicherheitsrat, die gleichzeitig die fünf offiziellen Atommächte sind, USA, Großbritannien, Frankreich, Russland, China; +1 = plus eins, das ist Deutschland).

Die große Frage ist, worüber man eigentlich verhandelt. So klar ist das nämlich gar nicht - und die Fakten, die verschiedenen Stränge der Geschichte, werden immer wieder medial vermengt. Sie sind auch in der Tat kompliziert, und dies hier ist ein Versuch, die Sache möglichst einfach darzustellen, dazu gehört auch Basisinformation zumindest über den rechtlichen Rahmen, auch wenn auf technische Details und auf eine genaue Chronologie verzichtet wird.
In eigener Sache: Die Autorin hat ihre Dissertation über das irakische Atomprogramm und dessen Abrüstung geschrieben, daher das - zugegebenermaßen etwas ausufernde - Interesse.

Der Basisstreit: die Uran-Anreicherung

Beim eigentlichen Streit der internationalen Gemeinschaft mit dem Iran geht es um dessen Uran-Anreicherungsprogramm. Der Iran ist Unterzeichner des Atomwaffensperrvertrags (NPT): Mit dem Verzicht auf Atomwaffen erwirbt sich ein Land das Recht auf zivile Nutzung der Atomenergie, wobei ja auch Uran-Anreicherung unter die gestatteten Aktivitäten fällt. (Angereichertes Uran wird zur Erzeugung von Brennstoff für Atomreaktoren benötigt. Meist ist das heute LEU, Low Enriched Uranium, während für den Bau von Atomwaffen HEU, High Enriched Uranium, vonnöten ist.)

Aber um diese Rechte auf Atomtechnologie zu genießen, gibt es Auflagen, die als Verpflichtungen des Staates gegenüber der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) formuliert sind: Das betrifft die rechtzeitige Meldung von geplanten und durchgeführten Aktivitäten, Information über geplante Anlagen, die Kontrolle der Aktivitäten, Materialbilanzen (damit nichts für andere Aktivitäten abgezweigt werden kann) und vieles andere mehr. Genau das sind die „Safeguards" der IAEO. 

Da diese Safeguards in ihrer klassischen Form zu weich waren - wie sich besonders angesichts des geheimen irakischen Atomprogramms, das 1991 entdeckt wurde, zeigte -, wurde in den 1990er Jahren in der IAEO das „Additional Protocol" entwickelt, das die Kontrollen verschärft. Auch das „Additional Protocol" ist wie die „Safeguards" ein Vertrag, den jeder Staat mit der IAEO abschließen muss, damit er für ihn gilt. Der Iran hat dies getan, im iranischen Parlament wurde das „Additional Protocol" aber nicht ratifiziert (trotzdem eine Zeitlang angewandt, jetzt jedoch nicht mehr). 

Das Grundproblem mit der iranischen Uran-Anreicherung ist jedoch, dass Teheran seine frühen Aktivitäten eben nicht korrekt und wie vorgesehen der IAEO gemeldet hat - so wurden ja etwa die ersten Modelle der Gaszentrifugen für die Anreicherung vom Iran im klandestinen Atom-Bauchladen des pakistanischen „Vaters der Atombombe" A.Q. Khan gekauft, und auch die Anlagen ohne entsprechende Meldungen gebaut. Vom famosen Herrn Khan weiß man, dass er auch noch andere Dinge im Angebot hatte, so hat er dem Irak 1990 ein Atombomben-Design angeboten (die Iraker haben es nicht angenommen, weil sie eine Falle fürchteten).
Als - durch Informationen der iranischen oppositionellen Volksmujahedin - 2002 die iranische Uran-Anreicherung aufflog, war dies natürlich eine schwere Beschädigung des Vertrauens der internationalen Gemeinschaft, dass sich der Iran auch wirklich an den Atomwaffensperrvertrag hält. (Nicht für Dummies, zur Illustration der Komplexität der Materie: In einem Bericht an den US-Kongress im Dezember 2011 hält der Nonproliferations-Experte Paul K. Kerr fest, dass es nicht sicher ist, ob wirklich ein iranischer Verstoß gegen den NPT vorliegt! Iran's Nuclear Program: Tehran's Compliance with International Obligations).

Die internationale Gemeinschaft, anfangs vertreten durch die EU-3 (Großbritannien, Frankreich, Deutschland), versuchte erst einmal, den Iran dazu zu bringen, die Uran-Anreicherung bis zur Klärung auf Eis zu legen (bis 2005). Erst später kam die USA bei den Verhandlungen mit ins Spiel, und noch später (ab 2006) stellte der - von der IAEO eingeschaltete - Uno-Sicherheitsrat (d.h. inklusive Russland und China) in Resolutionen an Teheran die Forderung, die Anreicherung sofort einzustellen, und verhängte nach und nach Sanktionen, die von den USA und der EU noch zusätzlich verschärft wurden.

Das alles hat nichts gefruchtet, über all die Verhandlungsjahre stellte der Iran zuerst einmal eine rudimentäre Anreicherung auf die Beine - das ist ein enormer technologischer Schritt für ein Land („Uran-Anreichern, das ist nicht wie Kuchenbacken", sagte einmal der Chef des irakischen Programms, Jafar Dhia Jafar). Im Laufe der Jahre wurde die Anreicherung (auf 3,5 Prozent) immer mehr ausgebaut, auf ein bescheidenes industrielles Niveau. Die Fortschritte waren dabei nicht stetig, Iran hatte große technische Schwierigkeiten mit seinen ziemlich primitiven pakistanischen Zentrifugen - heute handelt es sich schon um nachfolgende Zentrifugengenerationen. Und auch der - mutmaßlich aus Israel kommende - Cyberwar-Angriff mit Stuxnet dürfte dem Programm 2010 einen empfindlichen Rückschlag versetzt haben.

Zusätzlich erhielt die IAEO jedoch nach und nach zusätzliche Informationen mit starken Hinweisen, dass der Iran auch auf Gebieten, die zu einem Atomwaffenprogramm gehören, geforscht und experimentiert hatte. Die Geheimdienste widersprechen einander in der Einschätzung, ob das auch noch nach 2003 der Fall war. Weitgehend einig sind sich jedoch die Experten in der Ansicht, dass eine politische Entscheidung der iranischen Führung (und damit ist nicht Ahmadinejad gemeint - zu ihm noch später), ob der Iran Atomwaffen baut oder nicht, noch nicht gefällt wurde.

Es geht also für die meisten Experten darum, was der Iran wann „kann": wann er konkret in der Lage sein wird, alle technischen Aspekte einer Bombe - für die es ja viel mehr braucht als nur genügend HEU - zu meistern. Dass er alle Aspekte meistern will, ist ziemlich klar, ob er eine Bombe bauen will, hingegen nicht. Das ist die technische Sicht. Aus politischer Sicht sieht das wieder anders aus, da sind die Unterscheidungen zwischen Können und Tun nicht so relevant, sie sind fast gleichwertig. Aber das ist hier nicht das Thema.

Uran-Deal

Als klar wurde, dass mit der Forderung an den Iran, seine Uran-Anreicherung sofort bedingungslos einzustellen, kein fruchtbares Weiterkommen ist, versuchte die internationale Gemeinschaft einen anderen Weg: den der Vertrauensbildung. Dazu war sie sogar bereit, von ihren eigenen Regeln - dem Nein zur iranischen Uran-Anreicherung plus dem totalen Atomboykott des Iran - abzuweichen.

Ab Herbst 2009 wurde also der mögliche Uran-Deal verhandelt, und darum geht es um folgendes:

Der Iran hat einen (von den USA 1967 gekauften) Forschungsreaktor in Teheran (TRR: Tehran Research Reactor), in dem hauptsächlich Isotopen für medizinische Anwendung hergestellt werden. Dieser kleine Reaktor wird mit Brennstäben betrieben, die mit Uran mit einem Anreicherungsgrad von 20 Prozent produziert werden (früher lief der TRR mit Brennstoff aus 90-Prozent-Uran, der Iran nahm jedoch Anfang der 1990er Jahr an einem Downgrade-Programm teil). Die 20-Prozent-Brennstäbe lieferte Argentinien. 2009 war abzusehen, dass der Brennstoff, wenn der Reaktor mit voller Leistung fährt (was er nicht tut), 2010/2011 zu Ende geht: Der Iran benötigte also Nuclear Fuel für den TRR - den er aber wegen der Sanktionen auf dem Weltmarkt nicht kaufen konnte.

Der von der IAEO vorgeschlagene Deal lautete deshalb so: Der Iran lässt den Großteil seines LEU (3,5 Prozent) ins Ausland schaffen. Achtung - weil wichtig für später: Der Sinn davon war, dass zu wenig LEU im Iran verbleibt, um damit theoretisch genügend HEU für eine Bombe herzustellen. Das exportierte iranische LEU wird im Ausland auf 20 Prozent angereichert und zu Brennstäben für den TRR verarbeitet, die dem Iran wieder zurückgeliefert werden. Das war der Plan.

Das „No go" für den Iran war, dass zwischen der Aufgabe seines LEU und der Lieferung des Brennstoffs zirka ein Jahr gelegen wäre. Das iranische Gegenargument war, dass der Iran dabei Gefahr laufe, sein LEU herzugeben und nichts dafür zurückzubekommen, wenn es dazwischen irgendeine Form der politischen Verstimmung gäbe. Der Iran versuchte daraufhin dahingehend zu verhandeln, dass der Tausch simultan stattfinden sollte: auf der einen Seite das iranische LEU, auf der anderen Seite der (eben nicht mit dem iranischen LEU hergestellten) Brennstoff. Auch Lösungen wie das iranische LEU treuhänderisch der Türkei zu übergeben, wurden diskutiert.

Ausgerechnet Ahmadi-Nejad!

2010 tendierte ausgerechnet der Gottseibeiuns des Westens, Präsident Mahmud Ahmadi-Nejad dazu, auf den Deal in so ziemlich seiner ursprünglichen Form einzugehen: Ahmadi-Nejad war bereits politisch angeschlagen und hätte aus innenpolitischen Gründen den Erfolg, als Versöhner mit dem Westen dazustehen - im Iran durchaus populär! - dringend gebraucht. Ahmadi-Nejad wurde jedoch für seine Kompromissbereitschaft von rechts, aber auch von links (wie von seinem Gegner bei der umstrittenen Präsidentschaftswahl, Mir Hossein Mussavi) scharf attackiert: Ahmadi-Nejad sei dabei, die nationalen Interessen des Iran auszuverkaufen, hieß es. Tatsächlich hatte Ahmadi-Nejad öffentlich zugegeben, dass der Iran sein LEU letztlich ohne Gegenleistung verlieren könnte: Er hatte den Deal als Test für die Glaubwürdigkeit des Westens bezeichnet und seine Landsleute quasi getröstet, dass sie ja wieder neues LEU herstellen könnten ...

Dennoch wird Ahmadi-Nejad quasi als die personifizierte Atomgefahr gesehen. Er ist eben - auch - ein Popanz des Westens. Der iranische Präsident ist heute politisch so angeschlagen, dass er froh sein muss, wenn er das Ende seiner Amtszeit 2013 erreicht. Die Idee, dass er - oder auch ein anderer Präsident - derjenige ist, der im Iran entscheidet, ob eine Atombombe gebaut oder gar eingesetzt wird, ist lächerlich. Mit der Leugnung des Holocausts und seinen Tiraden und Drohungen gegen Israel hat sich Ahmadi-Nejad jedoch zum Symbol der Bedrohung durch den Iran gemacht, das zwar konkret im Iran nicht so viel wiegt, aber außerhalb viel leichter einzusetzen ist, als wenn man nur von einem schwer definierbaren „Regime" spricht.

Das heißt nicht, dass Ahmadi-Nejad und seine Leute ungefährlich sind - aber gefährlich sind sie (oder waren sie) zu allererst für das „traditionalistische" iranische System selbst, das ihn, zumindest im Moment, jedoch eingedämmt hat, wie die Niederlage seiner Anhänger bei den Parlamentswahlen gezeigt hat. Im Westen wird er den Anti-Iran-Populisten abgehen, wenn er abtritt ...

Wieder einmal zu spät

Aber zurück zum Uran-Deal, aus dem also auch aus iranischen innenpolitischen Gründen nichts wurde. In einer späteren Runde in Istanbul, bei der die P-5+1 nicht zugegen waren, stattdessen Brasilien, zeigte sich Teheran doch noch zum Einlenken bereit. Wie ernsthaft das war, spielt wenig Rolle, denn es kam zu spät: Die Faktenlage war bereits wieder eine gänzlich andere, die den Deal in seiner ursprünglichen Form sinnlos machte:

Erstens war die Menge des vom Iran produzierten LEU von 3,5 Prozent bereits viel höher als im Herbst 2009, als die erste Version des Deals vorgeschlagen wurde: Wenn also die 2009 vorgeschlagene Menge ins Ausland gebracht worden wäre, wäre noch immer genügend LEU im Iran verblieben, um damit theoretisch genügend HEU für mindestens eine Bombe herstellen zu können. Damit wäre eines der wichtigsten Ziele des Deals hinfällig gewesen.

Und dann hatte der Iran in der Zwischenzeit auch noch angefangen, auf knapp unter 20 Prozent (knapp unter der Stufe vom LEU zum HEU) anzureichern. Und er hatte eine unterirdische Anlage gebaut - und, wieder einmal, zu spät und erst kurz vor dem Auffliegen gemeldet -, in die er diese 20-Prozent-Anreicherung zu verlegen gedachte. Diese Anlage ist Fordo bei Ghom. Und vom selbst produzierten 20-Prozent-Uran wurden auch die ersten Brennstäbe für den TRR hergestellt - denn einzig und allein um den TRR-Fuel gehe es ihm ja, sagt das iranische Regime ganz treuherzig. Das kann man glauben. Oder auch nicht. Denn natürlich ist der technologische Schritt von 20 Prozent auf waffenfähiges Uran viel kleiner als der von 3,5 Prozent.

Die nächste Verhandlungsrunde

Auch wenn die Uno-Resolutionen nach wie vor den Uran-Anreicherungsstopp verlangen, haben die P-5+1 heute prioritäre Ziele bei den Verhandlungen mit dem Iran: Anstatt etwas zu verhandeln, was man nicht bekommen wird, wird man versuchen, wenigstens die iranische Anreicherung auf 20 Prozent einzufangen. Dazu gehört das Schließen der Anlage in Fordo. Das ist also das erste Ziel, das nicht völlig unrealistisch ist - man wird jedoch zuerst hören müssen, was der Iran dafür will. Vielleicht dafür die 3,5-Prozent-Anreicherung behalten?

Das zweite Ziel betrifft die Waffenaspekte: Um dem Iran zu glauben, dass er nicht in Richtung einer Atomwaffe geht (gleich, wo er sich jetzt im politischen Entscheidungsprozess befindet), muss er alle seine Arbeiten an Waffenaspekten darlegen. Die geforderte Transparenz und Ehrlichkeit, vergangene Aktivitäten betreffend, ist eine heikle Sache - denn Staaten, die geschwindelt haben (dazu gehören durchaus nicht nur die sogenannten „Schurkenstaaten"), fürchten, dass sie sich durch Geständnisse, was sie alles gemacht - und vielleicht auch gekonnt - haben, noch mehr hineinreiten.

Der Mangel an Transparenz über vergangene Programme erzeugt jedoch dann seinerseits wieder den Verdacht, dass es sich eben nicht um Vergangenes handelt, sondern um aktuelle Programme. Dem Iran bleibt wohl aber nichts als die absolute Kooperation, will er ein - bestimmt nur relatives - Vertrauen der internationalen Gemeinschaft wieder herstellen. Von ihr wird im Gegenzug gefordert sein, ihre Ziele genau zu definieren und, wenn ein ausreichender Grad an Gewissheit erreicht ist, auch wieder einen Schritt zurück zu machen. Und das ist eine politische Entscheidung, keine technische. (Gudrun Harrer, derStandard.at, 12.4.2012)