Linz - 13 Schülerinnen und Schüler mit "Migrationshintergrund", die jedem Klischee zu entsprechen bereit sind: Auf Bildung hat hier keiner Lust; man spricht schlechtes Deutsch; sexistische und homophobe Äußerungen zerschneiden die Luft des Raumes, in dem die Lehrerin Sonia Kelich (Zeynep Buyrac) einen Projekttag über Friedrich Schiller abhalten möchte. Als im Gerangel eine Pistole aus der Tasche einer Schülerin (Isabel Schölmbauer) fällt, ergreift die Lehrerin Waffe und Chance.
Begriffe wie Aufklärung und Vernunft sollen nicht nur richtig ausgesprochen, sondern vermittelt werden. Kelich nimmt ihre Schüler als Geiseln und lässt sie mit vorgehaltener Pistole Die Räuber und Kabale und Liebe spielen. Aufklärung als paradoxe, mit Waffengewalt vorgebrachte Intervention in der Parallelgesellschaft.
Asli Kilal hat das Erfolgsstück von Nurkan Erpulat und Jens Hillje, Verrücktes Blut, gemeinsam mit Zeynep Buyrac adaptiert. Dreizehn gecastete Jugendliche aus Linz und Umgebung haben sich das Stück erarbeitet. Und dabei geht es weniger um die Jugendlichen als um das Publikum, auf dessen eigene Stereotype schonungslos eingestochen wird.
Mit Sätzen wie "Was seht ihr in mir? Einen Schüler, einen Schauspieler oder einen Kanaken?" richten die spielenden Jugendlichen immer wieder das Wort direkt ans Publikum. Gegen Ende schließlich wird das "Spiel" abgebrochen, keiner hat mehr Lust, den klischeehaft bildungsfernen oder den Quotenerfolgsausländer zu geben. Der Integrationsdebatte gehen - auf der Bühne - die Protagonisten verloren.
Verrücktes Blut wird in Linz nicht nur aufsehenerregend gut gespielt, es balanciert auch geschickt zwischen Tragödie und Komödie und legt vor allem den Finger auf jene Scheinliberalität, die realbildungspolitisch ebenso wenig Chancengleichheit zulässt wie offener Rassismus. "Wie viele Erfolgskanaken erträgt das Land?" fragt Hasan (Mirkan Öncel), bevor er die Pistole ins Publikum richtet. Die Antwort darauf bleiben ihm Politik und Gesellschaft schuldig. (Wiltrud Hackl, DER STANDARD, 13.4.2012)