Politik ist ihre Sache nicht, sagt Hindi Zahra. "Mein Herz gehört der Musik." Und dann macht sie natürlich doch Politik - hier in Tunis, wo vor einem Jahr die Umbrüche in der arabischen Welt ihren Ausgang nahmen: "Ihr seid das Volk! Ihr allein seid die Träger der Revolution! Macht weiter so, wir brauchen euch!"
Mit wenigen Worten bringt die marokkanisch-französische Sängerin den Konzertsaal am Stadtrand von Tunis zum Kochen. Was als solides Weltmusik-Konzert im Rahmen des Festivals "Jazz à Carthage" begonnen hatte, endet in einem emotionalen Manifest für Demokratie und Freiheit.
Rund 1000 Zuhörer jubeln, als Zahra davon singt, die Ketten zu sprengen, die das Leben einengen. Sie singt nicht in Französisch, sondern überraschenderweise meist in Englisch, manchmal auch in der Sprache der Berber. Immer schwingen arabische Harmonien im Gesang und den Arrangements der Band mit. "Das ist der neue Maghreb", erklärt eine Konzertbesucherin - die eigentliche Botschaft des Abends ist weniger musikalisch als vielmehr politisch.
Zwar wurde der despotische Präsident Zine El-Abidine Ben Ali im vergangenen Jahr aus dem Amt gejagt, doch viele Tunesier sind auch nicht glücklich mit der islamistischen Nachfolgeregierung, obwohl sie immerhin in demokratischen Wahlen bestimmt wurde. Auch heute noch kommt es zu Repressionen: Erst vor drei, vier Tagen schlug die Polizei im Zentrum von Tunis eine Demonstration im Gedenken an die "Märtyrer der Revolution" nieder.
Offiziell hieß es, man müsse das seit März geltende absolute Demonstrationsverbot auf der Avenue Habib Bourguiba durchsetzen. Niemand solle den Arabischen Frühling für die eigenen Zwecke missbrauchen dürfen. Der Straßenzug galt im vergangenen Jahr als Brennpunkt der Proteste.
Den teils ernüchterten, teils wütenden Kommentaren auf Internet-Plattformen schlossen sich auch die Medien an: Die "Presse de Tunisie", früher als Propagandablatt Ben Alis verschrien, mittlerweile aber unabhängig, attackierte die neue Regierung und attestierte ihr einen "Verlust an Glaubwürdigkeit", weil sie nicht für Freiheit, sondern für Gewalt stehe.
Für viele junge Tunesier ist die Revolution noch nicht vorbei, das weiß auch Hindi Zahra. Nach dem Konzert betritt sie noch einmal die Bühne, ohne Band, ganz allein, in der Hand ihre Gitarre. "Mein Manager sagt mir immer, ich soll mehr mit euch reden. Das tue ich heute: Ihr seid das Volk, die Revolution. Führt sie weiter an! Entschuldigt, jetzt habe ich doch zu viel geredet." Sie hängt sich die Gitarre um und singt: "Der Wandel kommt, die Welt bewegt sich, die Zeit ist auf eurer Seite." (Gianluca Wallisch aus Tunis, DER STANDARD, 13.04.2012)