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Um zehn Kilo soll Oleg Schejn während seines Hungerstreiks abgemagert sein. Doch im Gegenzug erkämpfte er einen ersten Erfolg: Die Videos von der Wahl sind wieder aufgetaucht.

Foto: REUTERS/Vladimir Tyukaev

Russlands Opposition greift in den Regionen nach der Macht, die Bürokratie hält dagegen. In Astrachan ist der Oppositionskandidat wegen wohl gefälschter Wahlen in den Hungerstreik getreten und feiert den ersten Erfolg.

Moskau - Oleg Schejn gönnt sich einen Becher Orangensaft - nach 28 Tagen, während derer der Oppositionspolitiker nur Wasser zu sich genommen hat, ist dies eine Erleichterung, aber noch kein Ende des Hungerstreiks, wie Schejn betont. Denn noch immer kämpft der Politiker um sein Recht auf faire Wahlen, um das er sich betrogen fühlt.

Am 4. März - parallel zu den von Wladimir Putin gewonnenen Präsidentenwahlen in Russland - fanden in Astrachan, einer Großstadt am Kaspischen Meer, Wahlen für das Bürgermeisteramt statt. Der von der Oppositionspartei Gerechtes Russland aufgestellte Schejn galt in Umfragen als Favorit und lag auch in den Exit-Polls vorn. Doch dann der Schock: Die Wahlkommission erklärte den Kremlkandidaten Michail Stoljarow von der Partei Einiges Russland zum Sieger. 60 Prozent der Stimmen soll er erzielt haben.

Die Opposition beklagt Manipulation. Laut Schejns Wahlkampfstab wurde in 120 der 200 Wahlbezirke geschummelt. Auffällig: Schejn liegt in den Wahllokalen mit elektronischer Auszählung vorn; wo per Hand gezählt wurde, siegte sein Gegner deutlich. In mehreren Bezirken wurden dabei Wahlbeobachter, teils mit Gewalt, aus dem Wahllokal entfernt. Verdächtig ist zudem, dass die Aufzeichnungen der Webkameras in den Wahllokalen wochenlang verschwunden waren.

Ohne die Videos fehlten die Beweise für die Wahlfälschung, klagte Schejn. "Nur Idioten reichen ohne Beweise Klage vor Gericht ein", sagte er. Bei " Aussage gegen Aussage" werde das Gericht in jedem Fall für die Wahlkommission entscheiden. Und so trat Schejn in den Hungerstreik, um die Herausgabe der Bänder zu erzwingen.

Marsch durch Instanzen

Schejn hätte wohl lange hungern können, hätte die Opposition nicht ihre Chance erkannt. Sie will durch die Instanzen marschieren und an der Basis, in den Städten und Gemeinden, den Kreml schlagen. In den Großstädten Jaroslawl und Togliatti ist ihr das zuletzt gelungen, und auch in Astrachan scheint die Zeit reif.

Und so machte sie die Wahlfarce in Astrachan landesweit publik. Zur Unterstützung von Schejn reiste nicht nur die Parteiführung aus Moskau an, sondern auch Oppositionspolitiker anderer Lager, wie der Blogger Alexej Nawalny oder der Liberale Ilja Jaschin.

Zuletzt musste sich sogar Wladimir Putin bei seinem letzten Rechenschaftsbericht als Premier vor der Duma öffentlich zu der Frage äußern. Als er erklärte, er habe sich mit dem Thema nicht befasst und Schejn solle, statt zu hungern, lieber vor Gericht klagen, sorgte die Duma-Fraktion von Gerechtes Russland - in der Vergangenheit eher als kremlnah bekannt - mit ihrem Auszug aus dem Sitzungssaal für einen Eklat.

Und der hat Erfolg: Inzwischen hat die Wahlkommission eingelenkt. Die Videobänder sind wieder aufgetaucht. Auf deren Grundlage werde nun die Klage gegen die Wahlen vorbereitet, erklärte Parteichef Sergej Mironow. Es könne nur um eine Wiederholung der Wahlen gehen, fügte er hinzu.

Die Gebietsregierung versucht inzwischen, den Skandal abzuwürgen. Gouverneur Alexander Schilkin hat Schejn einen Posten in der Administration angeboten. Doch so leicht lässt der sich nicht abspeisen. Stattdessen wird er seinen Kampf ums Bürgermeisteramt mit Orangensaft fortsetzen. (André Ballin aus Moskau, DER STANDARD, 13.4.2012)