Sybrina Fulton stand ins Gesicht geschrieben, wie sehr sie gegen ihre Emotionen kämpfte. George Zimmerman, der Nachbarschaftswächter, der ihren Sohn Trayvon Martin erschossen haben soll, wird wegen Mordes angeklagt. Als die Nachricht am Mittwochabend die Runde machte, stellte sich die Mutter in einem schmucklosen Raum in Washington hinter ein Mikrofon, um ihre Gefühle zu beschreiben. "Danke, Gott. Wir wollten einfach eine Verhaftung, nicht mehr und nicht weniger."
Sechs Wochen nach Martins Tod im US-Bundesstaat Florida steht die Anklage. Andrea Corey, die zuständige Sonderermittlerin, legt dem 28-Jährigen Mord zweiten Grades zur Last, worauf bis zu lebenslange Haft steht. Zimmerman, argumentiert Corey, habe Martin nicht vorsätzlich getötet, aber eine Geisteshaltung offenbart, die menschliches Leben gering schätze. Deshalb die Anklage, eine Stufe höher als Totschlag.
Abschluss eines Kapitels
Es ist eine wichtige Zäsur, der Abschluss eines Kapitels, bei dem sich Polizei und Justiz nicht mit Ruhm bekleckert haben. Sie ließen Zimmerman laufen, weil er sich auf Notwehr berief, auf Gesetze, die die Anwendung tödlicher Gewalt erlauben, falls sich jemand in der eigenen Nachbarschaft bedroht fühlt. Dann geschah wochenlang nichts, bevor eine Protestwelle schwarzer Amerikaner das Land wachrüttelte.
An der Spitze der Demonstrationszüge marschierte und marschiert Al Sharpton, wortgewaltiger New Yorker Prediger, der in einem Satz auf den Punkt bringt, was er für eine paradoxe Doppelwelt hält. "Wir können einen schwarzen Mann im Weißen Haus haben, aber wir können ein schwarzes Kind nicht durch eine Wohnsiedlung laufen lassen."
Widersprüchliche Versionen
Nach und nach folgten Konsequenzen. Sanfords Polizeichef trat zurück; der lokale Staatsanwalt musste gehen. Noch immer gibt es widersprüchliche Versionen davon, was sich am Abend des 26. Februar in der Siedlung Twin Lakes in Sanford abspielte.
Nach der einen zog Zimmerman kaltblütig die Waffe, in einer Art Allmachtsgefühl des selbst ernannten Sheriffs. Nach der anderen handelte er aus Notwehr, weil ihn der 17-Jährige attackierte. Was geschah, soll der Prozess klären. Schon melden sich besorgte Juristen zu Wort, die nun Übereifer anstelle des Wegschauens der ersten Wochen fürchten. Die Klägerin, warnen sie, dürfe sich nicht unter Druck setzen lassen.
Reverend Sharpton hält die Mahnungen für überflüssig: "Ohne Druck hätte sich niemand den Fall ein zweites Mal angeschaut." (Frank Herrmann aus Washington, DER STANDARD, 13.4.2012)