Kave Atefie: Sprachkritik ist nicht hilfreich.

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Ach, wenn es nur darum ginge, die verzweifelte Suche der "Gutmenschen" nach dem politisch korrekten Konsensbegriff für die beständig ansteigende Zahl der Einwanderer und deren Nachkommen auf die Schaufel zu nehmen, Richard Schubert ("Wie Othello ins Hemd kam oder Der Hintergrund des Migrationshintergrundes", DER STANDARD, 7./8./9.4.) hätte meine volle schelmische Unterstützung. Ein bisschen (Selbst-)Ironie würde vielleicht sogar helfen, die festgefahrene Diskussion über die sozialpolitischen Probleme in diesem Land wieder in konstruktive Bahnen zu lenken.

Ob zum Zwecke der Entlarvung von Alltagsrassismen ausgerechnet ein sprachkritischer Ansatz zum Begriff Migrationshintergrund (MH) hilfreich ist, bezweifle ich allerdings aufrichtig. Und diese Sprachkritik dann gerade an der - ja, politisch unkorrekten - Bezeichnung für einen Schokokuchen aufzuhängen, ist für mich nicht nur eine glatte Themenverfehlung, es verharmlost auch die Dimension des Themas.

Wie Schubert richtig festhält, gleicht Sprache einem Schlachtfeld. Hier werden Vorurteile und Phobien aller Art in Worte gegossen, das können "Zuagraste" und "Großkopferte" aus Wien in anderen Bundesländern ebenso bestätigen wie "Neger, Zigeuner, Katzelmacher, Polacken, Tschuschen und Kümmeltürken" im ganzen Bundesgebiet.

Wienerische Eigenheiten

Sprache ist eben auch Abbild einer Gesellschaft und damit ständig Änderungen unterworfen. Das Wienerische etwa besticht durch die Eigenart, Opfer und Täter, Verurteilte und Richter, Obrigkeit und Untertanen, "G'stopfte" und Proleten umgangssprachlich gleichermaßen mit Häme zu überschütten. Insofern relativieren sich vorhandene Widerlichkeiten - gemäß dem Motto: Bei uns bist du der Schokobär, bei euch bin ich das Topfennockerl.

Aber das alles ist Nebenschauplatz und lenkt zu sehr von der eigentlichen Sache ab. Davon, dass unsere bisherige Wohlstandsgesellschaft gerade einen noch nie da gewesenen Wandel erfährt, bei dem Bildungs- und Einkommensschichten immer weiter auseinanderdriften.

"Mohr im Hemd"

Arm gegen Reich, Ungebildet gegen Gebildet, lautet die knappe Überschrift. Der Umstand, dass die Begriffe arm und ungebildet immer öfter im Zusammenhang mit "Migrationshintergrund" genannt werden, ist das eigentliche Thema. Zur Aufrechterhaltung einer friedlichen Solidargesellschaft darf es weder rechtspopulistischen Krawallpolitikern überlassen werden noch von wohlmeinenden Idealisten verharmlost werden. Ständig daran zu erinnern und politischen Druck auf Verantwortliche auszuüben ist auch das Verdienst von Initiativen wie SOS Mitmensch.

Jede Aktion, die konstruktiv dazu beiträgt, soziale, kulturelle und religiöse Differenzen abzubauen, ist begrüßenswert. Aber die Bezeichnung "Mohr im Hemd" bringt Menschen mit und ohne Migrationshintergrund in diesem Zusammenhang nicht wirklich weiter. (Kave Atefie, DER STANDARD, 13.4.2012)