Wien - So wie der prächtige, mächtige Baum der Hochkultur seine Wurzeln in einem Untergrund hat, der ihn trägt und nährt, so hat das Theater an der Wien ein Souterrain, in welchem seit hundertfünfeinhalb Jahren - mit einer bedauernswerten Unterbrechung von zirka acht Jahrzehnten - die musikalische Kreativität im Kellerdunkel auf das Heftigste erblüht.
In der sogenannten "Hölle" erprobten und demonstrierten einst (1906-1928) so unterschiedliche künstlerische Persönlichkeiten wie Fritz Grünbaum, Karl Farkas, Hans Moser, Hugo Wiener und Robert Stolz ihre musiktheatralisch-kabarettistischen Fähigkeiten, heute tut dies seit einiger Zeit eine Kernmannschaft des Letzten Erfreulichen Operntheaters aus der Ungargasse, ergänzt und bereichert um den Dramaturgen der Volksoper, Christoph Wagner-Trenkwitz.
Ach, diese Fünf: Elena Schreiber mit ihrer gut gebauten Resolutheit, Georg Wacks mit seiner sennbubenhaften Frische, Martin Thoma, Inhaber des trübseligsten, erloschensten Augenpaars der Welt, der kecke Stefan Fleischhacker und last, but bot least noch Wagner-Trenkwitz, phänotypisch und optisch immer mehr an die späte Therese Giehse erinnernd ...
Auch in ihrem neuen Programm "mit Asien-Schwerpunkt" präsentieren die professionellen Animateure wieder blankpolierte Juwelen aus der Hochzeit der "Hölle" und hieven sich dabei auf ein neues Niveau in Sachen Programmdramaturgie (wundervolle Steigerung zum kleinen Finale!), dramatischer Darstellungskraft und Kostüme.
Sei es Thomas' subtil-lapidare Komik in Man soll mit Pollaks nicht verkehren, Schreibers Flammenzungenkleid in Schönbergs Mahnung, Jean-Jacques Brume de Nords bodenständige Schwester (Stefan Fleischhacker) oder Schreibers furiose Russenschau in Stroganoff: Der Zuschauer findet sich in einem Rausch der Eindrücklichkeiten wieder, der auch so schnell nicht nachlässt. Das Highlight diesbezüglich: Wagner-Trenkwitz als Hahn in Chantecler et ses animaux radicaux. (Stefan Ender, DER STANDARD, 13.4.2012)