Tunis - Tunesische Linkskräfte werfen der islamistisch dominierten Regierung nach den schweren Ausschreitungen vom vergangenen Montag die Rekrutierung und den Einsatz von Schlägertrupps vor. Der Vorsitzende der Kommunistischen Arbeiterpartei Tunesiens (PCOT), Hamma Hammami, forderte am Freitag eine rasche Untersuchung der Vorfälle zur Aufklärung der Identität der Mitglieder von "zivilen Gruppen, die gemeinsam mit den Sicherheitskräften bei dem barbarischen Vorgehen" gegen friedliche Demonstranten agiert hätten.

Es könne nicht bestritten werden, dass "illegale Milizen" schon seit mehreren Wochen gegen Demonstrierende und protestierende Arbeitslose eingesetzt würden, nun müsse festgestellt werden, in welcher Form diese Schlägertrupps mit der islamistischen Regierungspartei Ennahda verbunden seien, sagte der PCOT-Chef. Ennahda-Chef Rached Ghannouchi dementierte jegliche Verbindung zwischen seiner Partei und den genannten Schlägerbanden und drohte Hammami mit rechtlichen Schritten.

"Tag der Märtyrer"

Mehrere hundert Teilnehmer einer behördlich nicht genehmigten Kundgebung zum "Tag der Märtyrer" am 9. April, der an einen blutigen Einsatz französischer Kolonialtruppen im Jahr 1938 erinnert, waren von Sicherheitskräften und nichtuniformierten Gruppen wegen eines geltenden Demonstrationsverbots mit Schlägen und Tränengas auseinandergetrieben worden. An der Demonstration hatten auch linke Mitglieder der Konstituierenden Nationalversammlung teilgenommen. Der frühere Präsident der tunesischen Menschenrechtsliga, Mokhtar Trifi, hatte erklärt: "Die Leute, die von der Revolution an die Macht getragen wurden, hindern uns nun am Demonstrieren."

Nach den schweren Ausschreitungen wurde Innenminister Ali Larayedh vor die Konstituierende Nationalversammlung geladen, um eine Erklärung für die in der Öffentlichkeit heftig kritisierte Polizeigewalt zu liefern. Ghannouchi hatte am Dienstag die Tunesier dazu aufgerufen, sich von nationalem Konsens, Solidarität und Vernunft leiten zu lassen. Tunesien drohe "nicht eine neue Diktatur, sondern Chaos". Gewalt und Rechtsbruch dürften nicht toleriert werden, sagte er mit Blickrichtung auf die Verstöße gegen ein Demonstrationsverbot.

Unterdessen richtete der Schwager des nach Saudi-Arabien geflüchteten Ex-Staatschefs Zine El Abidine Ben Ali, Belhassen Trabelsi, von Kanada aus ein am Freitag bekanntgewordenes "Entschuldigungsschreiben an das tunesische Volk" und erklärte seine Bereitschaft zur Heimkehr, um sich der Justiz zu stellen. Die Familie der Präsidentengattin Leila Trabelsi soll sich während der 23-jährigen Herrschaft Ben Alis systematisch am Staatsvermögen bereichert haben. Der Clan der Schwiegerfamilie beanspruchte Bankkredite in Milliardenhöhe, die nie zurückgezahlt worden sein sollen, und bekam riesige Provisionen bei Staatsaufträgen und bei Investitionen ausländischer Firmen. Bei allen staatlichen Bewilligungsverfahren habe er Schmiergelder bezogen, hieß es.

In Tunesien wurde Ben Ali in Abwesenheit unter anderem wegen Veruntreuung von Staatsvermögen, Korruption und Immobilienbetrugs zu hohen Haftstrafen verurteilt. (APA, 13.4.2012)