Landeshauptmann Gerhard Dörfler.

Foto: Eggenberger

Wenn ein Freiheitlicher oder anderer Rechtspopulist den Mund aufmacht, kommt oft ein so genannter Sager heraus. Wir haben gelernt, darauf zu reagieren: meist, indem wir gar nichts tun. Aus Klugheit, wie viele meinen, mit dem Argument, „Derartigem" kein weiteres Forum geben zu wollen. Das ist nicht die ganze Wahrheit, denn damit wird die Ratlosigkeit unterschlagen. Und die Feigheit, oft gepaart mit Wurschtigkeit: „Sollen die Blauen nur reden, was kümmert‘s mich!"

Und das tun sie denn auch, die Freiheitlichen und anderen Rechtspopulisten, seit vielen Jahren und zunehmend völlig unkommentiert. Denn immer öfter werden ihre „Sager" schlicht überhört: Man hat sich an sie gewöhnt, sie fallen gar nicht mehr auf. Richtig „normal" sind die „Sager" geworden, sodass die „kritische Öffentlichkeit" ihre Tagesordnung im Anlassfall nicht mehr unterbricht. Sondern sich lieber rein prinzipiell und vom Anlassfall abgehoben über die „Verrohung der Sprache" beklagt.


Beispiel gefällig? Der Kärntner Landeshauptmann und Flüchtlingsbeauftragte Gerhard Dörfler (FPK) hat vergangene Woche in Gleichklang mit den Kärntner Fremdenbehörden eine tschetschenische Familie zur Abschiebung freigegeben. Den zu erwartenden Unterstellungen in "Sager"-affinen Postings widersprechend ist festzuhalten, dass es sich bei der Familie um verzweifelte Menschen handelt. Eine Tochter, fünf Jahre alt, spricht nicht: Sie ist traumatisiert. Auch der Vater hat im Krieg Schlimmes erlebt. Bei einer Rückkehr nach Tschetschenien fürchtet er um seine, seiner Frau und Kinder Sicherheit.

Fremdenbehördenskandal

Bei der Fremdenpolizei, nachdem die Familie von daheim abgeholt worden war, wusste sich der Mann nicht mehr zu helfen. Er rammte sich ein Messer in den Arm: Suizidversuch. Er wurde auf die Villacher Psychiatrie gebracht, wo er immer noch verweilt: Ein Trauerspiel, ein Fremdenbehördenskandal - und zwar nicht nur wegen der Frage, wie es möglich war, dass ein Messer im Raum war. Letzteres wird jetzt staatsanwaltlich untersucht.

Wie kommentierte Gerhard Dörfler diese Vorkommnisse?: „Der Mann hat versucht, sich mittels Verletzung dem Gesetz zu entziehen. Da schneid ich mich auch beim Rasieren", sagte er zum Standard. So stand es auch in einem Artikel, der - rein von den Onlinezugriffen her - durchaus gelesen wurde. Doch keiner reagierte, und nur Einzelnen fiel auf, was Dörfler damit eigentlich ausgedrückt hat.

Nämlich, dass er einen Suizidversuch heruntergespielt hat. Ihn mit einer schmissigen Formulierung verharmlost und das dahinterliegende Leiden ignoriert hat. Wie ungeheuerlich das ist, zeigt ein Vergleich: Angenommen, die Polizei wird gerufen, weil ein Mensch in selbstmörderischer Absicht auf einem Dach steht. Wie würde Zeugen eine Reaktion von offizieller Seite wie: „Er will Druck ausüben. Und vielleicht will er sich da oben sonnen" wohl vorkommen? Im Gespräch verglich Dörfler die Selbstverletzung des Tschetschenen auch mit einer davor kolportierten Selbstverstümmelung eines Mannes, der sich ein Bein abgeschnitten haben soll, um an eine Versicherungsleistung zu kommen: Als ob man einem Menschen. der sich Derartiges antut, wirklich nur Berechnung unterstellen kann...

Zur Mitwirkung verpflichtet

Und mehr noch: Dörfler deutet die Selbstverletzung des Tschetschenen zu einem aggressiven Akt um, bewusst gesetzt, um Druck auf die Fremdenbehörden auszuüben. Dass dem Mann in der Folge unterstellt wurde, mit dem Messer auch auf die Dolmetscherin losgegangen zu sein - die ebenfalls anwesende Rechtsberaterin widerspricht dieser Version und bürgt dafür mit ihrer Aussage - passt mit ins Bild.

Die dahinterliegende Kaltschnäuzigkeit hat in der rechtlichen Bestimmung seine Verankerung, laut der Personen zur Mitwirkung bei Anordnungen der Verwaltung verpflichtet sind: ein Abschiebebefehl ist ja nichts anderes. Gegen verzweifelte Abschiebekandidaten wird diese Erpressungsunterstellung seit Jahren kultiviert. Dass das in Österreich inzwischen „Tradition" hat, ist mit Resultat des jahrelangen, taktisch angeblich so durchdachten Weghörens vieler, die es besser wissen - immer dann, wenn die Rechten über Ausländer ihren Zynismus ergießen. (Irene Brickner, derStandard.at, 14.4.2012)