Wien - Was für ein bereicherndes Konzert. Man wirft den Wiener Philharmonikern gern vor, es sich in der Rolle der graumelierten Gralshüter des klassisch-romantischen Repertoires bequem eingerichtet zu haben, und dann das: ein Abonnementkonzert, in welchem sich der Orchesterverein zuerst ein wenig in den Concentus musicus und dann ins Klangforum Wien verwandelte.

Mit der frühen (1764) Haydn-Symphonie Hob. I:22 Der Philosoph wurde eröffnet, und man traute seinen Ohren nicht, zu welcher Subtilität, welcher bezaubernden Schlankheit im Klang Sir Antonio Pappano die Philharmoniker in dieser Kirchensymphonie anleitete: zart abgezirkelt die begleitenden Achtel im Adagio, fein sich öffnend und wieder verwelkend die längeren Notenwerte im melodischen Material der Streicher. Haydn, vom Barock her gehört. Darauf folgte Jörg Widmanns Symphonischer Hymnus nach Schiller, Teufel Amor. Abends zuvor erst uraufgeführt, machte das Auftragswerk vierer Konzerthäuser Teile des Samstagnachmittagspublikums tief seufzen, auf die Uhr blicken oder schlussendlich sogar etwas buhen. "Und speciell das Auditorium der Philharmonischen Concerte ist ein conservatives, das gegen Novitäten lebender Componisten sehr streng vorgeht", notierte Eduard Hanslick schon 1869. Applaus gab's natürlich auch für die bemühte XL-Stimmungsmache des deutschen Komponisten, der zwischen rabenschwarzer Unterweltsmalerei und stratosphärischem Solipsismus die ganze höllische Welt der Liebe darzustellen suchte.

Zwischen redlicher Behutsamkeit und gewinnender Kraft war Brahms' Vierte aufgespannt. Die hohen Streicher musizierten initiativkräftig, die führungsschwachen Celli bestenfalls neutral; ein Bild des Jammers die verschlafen-schlaffe Gruppe der Kontrabässe. Und das ausgerechnet beim Kontrabassisten-Sohn Brahms, der die tiefen Register schätzte wie kein Zweiter. (end, DER STANDARD, 16.4.2012)