Maria Manakovas Idee bei dem Nackt-Shooting für das Russische Magazin „Speed": Etwas mehr Publicity und Fankult um Schachspielerinnen könnte nicht schaden. Schließlich kann auch Intellektuellensport nicht auf Werbung verzichten - egal wie primitiv.

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Die amerikanische Profi-Schachspielerin Jennifer Shahade hat ein Buch über Frauen im Schach veröffentlicht - inklusive Widmung von Yoko Ono. Der provokante Titel: Chess Bitch. Sachbücher von Frauen über Randsportarten verkaufen sich wohl auch nur unter sexuellen Vorzeichen.

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Der Weltranglisten-Erster Magnus Carlsen wurde 2010 als Model für das Label G-Star unter Vertrag genommen. Das norwegische Wunderkind mit dem ungewöhnlichen und strengen Gesicht wurde mit 13 Jahren Großmeister. Foto-Shootings mit Liv Tyler und Gemma Arterton folgten erst mit 20.

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Reiten, Motorsport, Snooker - oder Schach. Die Sportarten ohne Geschlechtertrennung sind überschaubar. Meist hat die Trennung mit anatomischen Unterschieden zu tun, die den Vertretern des männlichen Geschlechts (angeblich) einen Vorteil bescheren. Manchmal gibt es auch (noch) keine Trennung, weil kaum Frauen in bestimmte Domänen vordringen. Schach hingegen, der ultimative Intellektuellensport, scheint beim Gender-Mainstreaming voraus zu sein. Doch die Beziehung zwischen Frauen und Schach ist ambivalent.

König schlägt Dame - unmöglich?

Lediglich ein Zehntel der bei der FIDE (Internationaler Schachverband) registrierten Schach-Sportler ist weiblich. Unter den Besten 100 findet sich sogar nur eine einzige Frau, nämlich Judit Polgár. Sie führt seit vielen Jahren die Damenweltrangliste an, ist die einzige Frau, die unter die Top 10 im Schach gekommen ist und wird als beste Schachspielerin aller Zeiten gehandelt.

Eine berühmte Partie zwischen der 17-jährigen Polgár und Garri Kasparov, dem langjährigen Rekord-Weltranglistenersten, Weltmeister und einem der stärksten Spieler der Schachgeschichte, ist als Sinnbild für die Position von Frauen im Schach in die Geschichte eingegangen. Bei einer Partie 1994 bewegte der Weltmeister im entscheidenden Moment eine Figur und setzte sie ab, nur um sie gleich danach zurückzustellen und einen anderen Zug auszuführen: Im Schach verboten. Polgár hätte Einspruch erheben können, schwieg aber während des Vorfalls und verlor schlussendlich die Partie und erzielte ein schlechtes Ergebnis beim Turnier. Kasparov ist, in der Tradition der Schachweltmeister, durch chauvinistische Aussagen über Kolleginnen bekannt. Ähnlich unehrenhafte Vorfälle mit jüngeren Akteuren sind dank dem Internet festgehalten - etwa Carlsen-Kosteniuk.

Damenproblem

Zu den Gründen für das Ungleichgewicht zwischen männlichen und weiblichen Schachprofis gibt es viele skurrile Hypothesen: Frauen seien weniger kämpferisch und weniger gewillt, ihr gesamtes Leben einer Sportart zu widmen. Sie seien auch als friedfertige Wesen einfach nicht dazu in der Lage, ihr Gegenüber in die Knie zu zwingen - eine vor kurzem dem ORF gegenüber vertretene Ansicht. Manche halten auch noch an der Überzeugung fest, weibliche Gehirne seien einfach nicht für logisches Denken gemacht. Für diese Gruselgeschichten gibt es jedenfalls keine hinreichenden Belege. Die Benachteiligung von Frauen im Schach liegt wohl eher an der Geschichte und Tradition der Schachsportart: Zunächst war diese eine Freizeitbeschäftigung dezidiert für Herren, die trotz ihrer mehrere tausend Jahre langen Geschichte erst im letzten Jahrhundert von Frauen entdeckt wurde.

Heute wird die Leistung von Frauen und Männern im Schach nach den gleichen Rating-Maßstäben gemessen. Zuzüglich zu den üblichen Titeln, die verliehen werden (FIDE-, internationaler und Großmeister), können Frauen auch noch „weibliche" Versionen erlangen. Die Anforderungen für diese sind niedriger und werden auch unter den herkömmlichen eingestuft. Diese Tatsache ist einerseits Manifestation der Benachteiligung von Frauen und andererseits Gegenmaßnahme: Durch Förderung und erleichterte Bedingungen sollen mehr Frauen zum Schach ermutigt werden. Frauen können außerdem bei „Männer"-Meisterschaften teilnehmen, Männer aber nicht bei Frauenbewerben. Für Vollzeit-Schachspielerinnen ergibt dies wegen vielfältigeren Möglichkeiten sogar unter Umständen finanzielle Vorteile.

Damen-Gambit

Am Brett ist Konzentration alles, daher muss gewährleistet werden, dass es so wenig Ablenkung wie möglich gibt. Essen, Trinken, Rascheln und taktlose Beobachter können an den stark beanspruchten Nerven zehren. Bei manchen Turnieren spielt die Spitze sogar in einem schalldichten Glaskäfig und kann so beispielsweise nicht durch den „Lärm" der Kollegen und Zuschauer belästigt werden. Doch alleine schon die Erscheinung und das Auftreten des Gegners kann irritieren. Es könnte etwa der Ausschnitt von Kontrahentinnen ein Dorn im Auge sein. So kann es auch passieren, dass eine Niederlage gegen eine Frau - für manche Schachspieler noch immer eine größere Schande - gerne auf das Dekolleté geschoben wird. Die europäische Schachunion hat - angeblich als Reaktion auf Schachspielerinnen, die im Strand-Outfit zu Turnieren aufkreuzten - nun einen Dresscode für Teilnehmer herausgegeben. Wer dagegen verstößt, kann vom Schiedsrichter zur Umkleide gebeten werden. Ausgerechnet bei der Frauen-EM in Gaziantep (Türkei) im März ist dieser nun erstmals in Kraft getreten.

Chest Championship

Die Richtlinien zielen im Allgemeinen auf ein gepflegtes Äußeres ab und sind daher nicht sehr spezifisch. Trotzdem macht das Ansprechen bestimmter Umstände stutzig: So sollte die Kleidung aller Teilnehmer beispielsweise nicht abgetragen und frei von Löchern sein. Körpergeruch ist auch unerwünscht. Ist dies im Schach etwa ein allgemeines Problem, sodass man extra eine Vorschrift formulieren muss? Auch zur Kleidung passender Schmuck ist laut Mode-Polizei erlaubt - wie geschmackvoll. Die pikanten Details: Bei Frauen dürfen nur die zwei obersten Knöpfe einer Bluse geöffnet sein. Ob die Gesamtzahl, Position oder Aufteilung der Knöpfe eine Rolle spielt? Der ganze Wirbel um das Dekolleté von Schachspielerinnen erzeugt bedauerlicherweise den Eindruck, weibliche Schach-Profis müssten sich erst ausziehen, um zu gewinnen - oder mediale Aufmerksamkeit zu bekommen. Ach ja: Flip-Flops sind jedenfalls für beide Geschlechter out.

Chess Bitches

Während beim Tennis durch die veraltete Röckchen-Regelung gewährleistet wird, dass Frauen knapp und knackig angezogen antreten, wird Schach nun wie einige Beobachter meinen „less sexy than ever". Andere Spötter meinen, der Dresscode ziele ohnehin eher auf Männer ab, die weniger durch Freizügigkeit, sondern eher durch schlampiges Auftreten beeindrucken. Die Tatsache, dass es bei einem Denksport ein Dresscode mit Sonderregelungen für Frauen eingeführt wird, stimmt dennoch nachdenklich. Besonders unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es in der Vergangenheit Anstrengungen gab, dem Schach ein sexyeres Image zu bescheren. Sex sells, und die beste und älteste Marketingstrategie ist für einen hoffnungslosen beobachterarmen Sport nur gut genug. Teilweise freizügige Hochglanz-Foto-Shootings sollen suggerieren, dass Schach nicht nur eine Sportart für Streber und Weltfremde ist. Entblößen für das Spiel? Nobel. Am Brett? Tabu. (Olja Alvir, daStandard.at, 16.4.2012)