Mit bunt lackierten Aluminiumstangen vermittelt Sofie Thorsen nicht nur Raum, sondern auch Farbe und Materialität der längst verschwundenen Wiener "Spielplastiken" der 1950er-Jahre.

Foto: UMJ / N. Lackner

Das Kunsthaus Graz zeigt ihre präzisen, formal bestechenden Analysen.

Graz - Zunächst ist ein schwarzes Nichts. Ein Dunkel, in dem kleine weiße Flecken erscheinen. Abstrakte Flecken, die größer werden und sich allmählich als Öffnungen in einer Ziegelwand entpuppen. Dahinter werden Pflanzen sichtbar. Die räumlichen Indizien im Film verdichten sich und so schält sich nach und nach der Ort des Geschehens heraus: Ein Open-Air-Kino, in dem das Projektionslicht auf leere Sesselreihen fällt. Ein Kino, dem das Publikum abhanden gekommen ist.

Sofie Thorsen (geb. 1971 in Arhus, Dänemark) zeigt in "Schnitt A-A" das Freilichtkino der Slowakischen Nationalgalerie in Bratislawa. Wie ein Puzzle hat sie es aus einzelnen Sequenzen zusammengesetzt, in die sie wieder zerfallen werden. Denn angegliedert an ein Museum der 1970er-Jahre ist es inzwischen funktionslos geworden und in Vergessenheit geraten. Im Herbst wird es abgerissen. Thorsen geht es dabei weniger um das konkrete Lichtspieltheater als um das Kino als Architektur für Utopien, als Projektionsort fiktionaler Stoffe. Daher streut auch der Soundteppich andere Hinweise und verortet den Schauplatz mit Grillenzirpen in südliche Gefilde. 

Zwar zieht die Künstlerin in ihrer Arbeit oft sehr spezifische Orte heran, dennoch sagt sie: "Das Persönliche oder das Subjektive interessiert mich nur wenig". Das Spezielle dient Thorsen vielmehr als Forschungsgrundlage, das induktive Schlüsse erlaubt: Und so scheint das Freilichtkino in seiner Funktionslosigkeit zur Metapher für gescheiterte Utopien der Moderne zu werden. Auch die Projektion selbst besteht aus reinem Licht: Die Inhalte haben sich verflüchtigt.

In Thorsens Ausstellung im Kunsthaus Graz taucht nicht nur diese titelgebende Arbeit "Schnitt A-A" (Festivaltrailer der heurigen Diagonale und architektonische Bezeichnung für den Querschnitt durch ein Gebäude) aus dem Dunkel auf: Der ganze Saal ist dämmrig. Eine theatrale Kulisse, in der die Werke wie Protagonisten durch Spots oder gar Schreibtischlampen hervorgehoben werden. Die gelungene Lichtregie betont das analytische, das Hinweisende von Thorsens Blick, holt den Betrachter nahe an formale Lösungen heran, die ihre Inhalte stets ebenso präzise wie stimmig spiegeln.

Blick auf Leerstellen

Das, worauf man schaut, sind aber gerade die Leerstellen, also Dinge, die nicht oder nicht mehr sichtbar oder abwesend sind, die aber eigentlich da sein sollten: so wie Publikum und politische Vision in "Schnitt A-A"'. Thorsen stellt in ihrer Arbeit generell die Frage, wie kulturelle, ökonomische und politische Parameter in Architektur und Design sozialer und urbaner Räume eingeschrieben sind. So nutzt sie auch die Geschichte der Insel Fur ("The Achromatic Island", 2009/10) zum konzentrierten Nachdenken über menschliche Wahrnehmung. Auf Fur war die Achromatopsie - eine besonders krasse Form der Farbenblindheit, die es vollkommen unmöglich macht, Farben zu sehen - einst 40.000 mal so hoch wie anderswo.

Die Leerstellen und Schatten der Vergangenheit, die alle drei Arbeiten der Ausstellung verknüpft, finden in Spielplastiken zu einer formal besonders kongruenten Form. Die Arbeit beschäftigt sich mit jenen in den 1950er Jahren von der Stadt Wien bei Künstlern in Auftrag gegebenen Spielgeräte. Plastiken für den alltäglichen Gebrauch, die auch den Geist der Moderne atmeten, da sie Ästhetik und Gesellschaft zusammenbrachten. Inzwischen sind diese aus dem Stadtbild verschwunden, haben sich abgenutzt und wurden durch neuere Spielplatzgeräte ersetzt.

Thorsen verleiht den Objekten, repräsentiert durch aufgeblasene historische Schwarzweißfotos, die sie frei in den Raum hängt, eine Räumlichkeit und Präsenz. Farbig lackierte Aluminiumstangen, die frei im Raum verspannt sind, verweisen auf die ursprüngliche Materialität und Farbigkeit und verleihen den Objekten noch viel mehr eine räumliche Dimension. Allerdings schneidet sie aus den Fotos die Plastiken wieder aus: Übrig bleibt eine charakteristische Leerstelle. Ihre raumgreifenden Cut-Outs zeigen und verstecken also gleichzeitig. Sie vergegenwärtigen das Verschwundene. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD, Langfassung, 17.4.2012)