Einst hieß es, die USA würde sehr darauf bedacht sein, ihren sogenannten Hinterhof Lateinamerika möglichst besenrein zu halten. Will heißen: Die Linke sollte auf dem Subkontinent nichts zu melden haben, der Einfluss Washingtons überall in der "westlichen Hemisphäre" unmittelbar zu spüren sein. Spätestens nach dem jüngsten Lateinamerikagipfel lässt sich diese These wohl nicht mehr ohne Weiteres rechtfertigen.
Mit dem Kalten Krieg, so scheint es, wollen die meisten Lateinamerikaner nichts mehr zu tun haben - progressive wie konservative Regierungen stellten sich in Cartagena gegen die Vereinigten Staaten (und Kanada). Es weht - mit einigen wenigen Ausnahmen - ein pragmatischer Geist zwischen der Baja California und Feuerland. Die Präsidenten wollen ihre Länder entwickeln und lassen sich nicht mehr in irgendwelche ideologischen Stellvertreterkonflikte einspannen. Gleichzeitig haben die USA selbst ihren geostrategischen Fokus in den Pazifik verlegt und Ressourcen im Nahen Osten und am Hindukusch konzentriert.
Das ermöglicht den Staaten auf dem Subkontinent politischen Spielraum für eine eigene Entwicklung, die von den Großmachtambitionen Brasiliens bis zur merkwürdigen autoritären Folklore in Venezuela reicht. Nicht mehr dessen Bewohner haben heute im "Hinterhof" nichts zu melden, sondern eher die USA. Und das ist angesichts der Vergangenheit für beide Parteien gut so. (Christoph Prantner, DER STANDARD, 17.4.2012)