Annemarie Indinger schildert in "Der lange Arm der Kaiserin", wie es ungewollt Schwangeren im ländlichen Raum erging.

Foto: Der lange Arm der Kaiserin

"Es ist so ein Gefühl, dass man das nicht nach außen tragen sollte", sagt eine Frau gleich am Beginn der Dokumentation "Der lange Arm der Kaiserin". Darin beschäftigt sich Susanne Riegler mit der Geschichte der Abtreibung zwischen der Regentschaft von Maria Theresia und 1975. In diesem Jahr trat in Österreich die Fristenregelung in Kraft, bis dahin war es ein langer, schmerzhafter und für viele Frauen auch ein tödlicher Weg. Doch unabhängig davon, ob der Abbruch straffrei gestellt ist, wie nun mit der Fristenregelung, oder ob er mit dem Tod bzw. Gefängnis bestraft wurde: Schwangerschaftsabbrüche fanden immer statt, auch unter lebensbedrohlichen, traumatischen Umständen, begleitet von sehr viel Scham und Angst.

Abtreibung unter Todesstrafe

Nach Antworten auf die Frage, weswegen die Bedingungen für ungewollt Schwangere derart unmenschlich waren, sucht Riegler schon zu Zeiten Maria Theresias. Die Herrscherin vereinheitlichte in der "Constitutio Criminalis Theresiana" erstmals die Strafgesetzgebung und somit auch die Bestimmungen über Abtreibung im Habsburgerreich. Diese Bestimmung legte die Todesstrafe für einen Schwangerschaftsabbruch fest, denn gemäß der christlichen Tradition galt er als Tötungsdelikt. Eine Position, die in dem 1768 in Kraft getretenen Strafgesetzbuch bei weitem nicht das letzte Mal formuliert wurde. Radikale AbtreibungsgegnerInnen vertreten sie noch immer laut und sie findet  - wenn auch weniger deutlich - durch diverse kirchennahe Vereinigungen, die Beratungen durchführen, Verbreitung unter Frauen. Die Schuldgefühle von Frauen immer als Trumpf in der Hand.

Ein "schiaches Reden"

Schuld und Scham ziehen auch einen roten Faden durch die Erzählungen aus einer Zeit, in der Reden über Sexualität als "schiaches Reden" galt, wie die ehemalige Lehrerin im Lungau Annemarie Indinger (82) erzählt. In dem Film kollidieren die wunderschönen Landschaftsaufnahmen mit grausamen Geschichten, wie mit Frauen umgegangen wurde. Mit der Verhütung allein gelassen und im Bewusstsein, dass ein lediges Kind eine große Schande war (obwohl es unzählige gab), griffen die Frauen zu Methoden, die über den Sprung vom Küchentisch bis zu glühenden Stricknadeln reichten.

"Weiber sterben - koa Verderben, Ross verrecken - Bauernschrecken" schilderte Indinger das damalige Ansehen von Frauen mit diesem verbreiteten Spruch. Die Bauern holten sich Sex kurzerhand von den Mägden, wenn die eigene Frau wiedermal hochschwanger war, und junge Mädchen erfuhren Aufklärung höchstens durch die Knechte, die sich dann auch gleich an ihnen bedienten. Der tief verankerte Glaube, dass das Ertragen dieser Qualen ein Opfer wäre, das den Frauen einen Platz im Himmel sicherte, ließ sie all das irgendwie ertragen, so Indinger. 

Auch im urbanen Raum machte man es Frauen um keinen Deut leichter. Die frühere Grün-Politikerin Freda Meissner-Blau musste am eigenen Leib erfahren, was ein illegaler Schwangerschaftsabbruch, in ihrem Fall Ende der vierziger Jahre, bedeutete: Ein unsagbar erniedrigendes und schmerzhaftes Szenario, das - und das war dank der herrschenden Moralvorstellungen das wichtigste - unentdeckt bleiben musste. Als Meissner-Blaus Schmerzensschreie drohten die Nachbarschaft aufzuschrecken, wurde sie kurzerhand geknebelt, erzählt sie im Film.

Abtreibungsambulanz, mitten im Achten

Doch nicht alle quälten ihre "Patientinnen" auf den umfunktionierten Küchentischen derart. Im Film erzählt auch die Enkelin einer jener Frauen, die bemüht vorsichtig und schonend einen Abbruch vornahmen. Im achten Bezirk in Wien befand sich die Wohnung der als seriös geltenden Frau P., die die Frauen nach dem Abbruch im eigenen Ehebett unterbrachte. "Drei oder manchmal auch vier lagen da oft drinnen" erinnert sich die Enkelin an ihre Kindheit mitten in der provisorischen Abtreibungsambulanz. Alle Schichten wären bei ihnen aus und eingegangen, von Gattinnen hoher Beamter bis zu Arbeiterinnen - sie alle suchten bei Frau P. Hilfe.

Die Auswahl der ProtagonistInnen für "Der lange Arm der Kaiserin" spiegelte diese Vielfalt wieder. Der durch Annemarie Indinger ermöglichte eindrucksvolle Blick in den ländlich/bäuerlichen Alltag vor etwa fünfzig Jahren erinnert auch daran, dass den meisten Männern früher wie heute keine Verantwortung zugeschrieben wurde und wird - weder bei der Verhütung noch im Falle eines Abbruchs. Manche schwingen sich allerdings zu pathetischen Reden auf, wie der leidenschaftliche Abtreibungsgegner Bischof Andreas Laun. Wie Heinz-Christian Strache darf auch er in der Sammlung von Wortmeldungen selbsternannter und sogenannter "LebenschützerInnen" am Ende der Dokumentation nicht fehlen. Sie machen deutlich, wie fragil die 1975 errungene Fristenregelung ist, die Abtreibung allerdings noch immer nicht als Recht definiert, sondern lediglich als geduldet.

Verurteilung wahrscheinlich

Eine weitere Stärke der Dokumentation liegt in der Verknüpfung zwischen überwunden geglaubter Moralvorstellungen und der noch immer herrschenden Verschwiegenheit zum Thema Abtreibung. Die erschütternden Erzählungen aus der Zeit vor der Fristenlösung werden unterbrochen von Schilderungen einer jungen Frau aus der Gegenwart, die sich das öffentliche Reden über ihren Abbruch schlichtweg nicht antun will. Sie habe keine Lust zu erklären, keine Lust auf Verteidigung oder Rechtfertigung.

Die Wahrscheinlichkeit, dass Stigmatisierungen nicht weit sind, ist tatsächlich noch immer hoch - kein Wunder: Ein klares Bekenntnis für das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch fehlt in Österreich noch immer. Seit in Krafttreten der Fristenregelung scheint sich nicht nur politisch und juristisch nichts mehr zu bewegen, auch die gesellschaftliche Haltung gegenüber ungewollten Schwangerschaften scheint zu stagnieren. Dass der Film mit dem Meilenstein Fristenregelung vor 37 Jahren endet, ist somit stimmig.

Vielleicht stellt er ja die Weichen für eine breitere Debatte darüber, ob die gegenwärtige Gesetzeslage in Österreich, der Zugang zu Abtreibungskliniken und die gesellschaftliche Stimmung gegenüber Schwangerschaftsabbrüchen einem liberalen, von Religionen unabhängigen Staat im Hier und Jetzt gerecht werden. (Beate Hausbichler, dieStandard.at, 17.4.2012)