Die schwarzen Strände von Tahiti.

Foto: Wikimedia Commons/fr:Utilisateur:FRED

Ellacott (l.) und Sage (r.) studieren in Bordeaux, wollen nach ihren Abschlüssen aber zurück auf die Inseln.

Foto: flon

Tetiu (l.) und Herenui (r.) Thomas pflegen die polynesische Tattookunst im 15. Pariser Stadtbezirk.

Foto: flon
Grafik: derStandard.at/Stepmap

Bild nicht mehr verfügbar.

Polynesiens amtierender Präsident Oscar Temaru (67) ist ein Befürworter der Unabhängigkeit von Frankreich.

Foto: EPA/JOHN PRYKE

Bild nicht mehr verfügbar.

Gaston Flosse, langjähriger Präsident Französisch-Polynesiens, ist heute Senator in Paris.

Foto: AP Photo/Julien Brouille

Bild nicht mehr verfügbar.

Wahlstation in Punaauia auf Tahiti bei der Präsidentschaftswahl 2007.

Foto: Reuters

Bild nicht mehr verfügbar.

Mururoa auf einem Archivbild.

Foto: AP Photo/Francois Mori, file

Wenn Taimana Ellacott Heimweh verspürt, setzt er sich ins Auto und fährt los. Eine halbe Stunde gen Westen und der bullige 24-Jährige, der im feinen Zwirn zum Interview im Büro der polynesischen Vertretung am Pariser Boulevard Saint-Germain erscheint, fühlt sich den Geräuschen und Gerüchen seiner Heimat näher. Die Strände, an denen er dann spazieren geht, die Gischt, die er riecht, das Rauschen der Wellen, denen er lauscht: "fast ist es wie zu Hause auf Tahiti", sagt Ellacott und lacht.

Und doch ist es nur der kühle Atlantik nahe der südwestfranzösischen Großstadt Bordeaux, wo der Wirtschaftsstudent aus Punaauia auf Tahiti seit vier Jahren studiert und sich derzeit auf die Aufnahmeprüfung für die Elitehochschule ENA vorbereitet. Seine Heimat ist das Überseegebiet Französisch-Polynesien im Südpazifik. Während sich das Territorium zwischen Neuseeland, Hawaii und Chile über eine Fläche von der Größe der EU erstreckt, ist die Landmasse der 118 Inseln lediglich so groß wie das Burgenland. Seit 1786 sind die Inseln französisches Staatsgebiet, ihre 300.000 Bewohner Franzosen. Seit Ende der Siebzigerjahre genießt das Gebiet weitreichende Autonomie von Paris. Wie viele Polynesier ihr Glück im 16.000 Kilometer und zwanzig Flugstunden entfernten "Mutterland" suchen, kann mangels Statistiken nur geschätzt werden. 10.000 sollen es sein, vielleicht mehr. Ein Viertel davon sind Studenten, sagt Ellacott, der den Verband der Polynesischen Studenten in Frankreich leitet. Eigene Stadtviertel mit polynesischen Restaurants, Tanzklubs und Geschäften gibt es nicht. Im Süden, in den Städten Montpellier, Bordeaux und Toulon, hätten sich in den vergangenen Jahren Ansätze für eine polynesische Infrastruktur gebildet, sagt er. Viele seiner Landsleute dienen in der französischen Marine, die am Mittelmeer große Stützpunkte unterhält.

"Wir bräuchten einen New Deal"

Mit ein Grund, schätzt Ellacott, warum die Polynesier dies- und jenseits des Äquators bei Präsidentschaftswahlen traditionell konservativ wählen. Auch heuer dürfte das so sein. Links gilt in Papeete, von wo aus die Geschicke der Inselgruppe von der Größe Europas gelenkt werden, als pro-Unabhängigkeit, von konservativen Präsidenten erwarteten sich die Insulaner Stabilität - und den Verbleib am finanziellen Tropf. Bis 2002 schritten die Polynesier, deren Inseln jenseits der Datumsgrenze liegen, so wie alle anderen Franzosen am Sonntag zur Wahl - und kannten somit das Ergebnis schon vor ihrer Stimmabgabe.

Seit 2007 wählt Französisch-Polynesien daher schon am Samstag. Ellacott sieht keine großen Unterschiede in der Polynesien-Politik von Präsident Nicolas Sarkozy und dessen sozialistischem Herausforderer Francois Hollande. Beide geben sich als Bewahrer des Status Quo, beide versprechen, so sie gewählt werden, in den sozialen Wohnbau und die Infrastruktur der Inseln zu investieren. "Wirklich über die Bedürfnisse und Gegebenheiten dort wissen aber beide nicht Bescheid. Frankreich sollte mehr Vertrauen in die Polynesier haben. Wir bräuchten eine Art New Deal", ist Elacott überzeugt.

"Rational genügt uns die Autonomie, im Herzen sind wir unabhängig", sagt Mainava Sage, ein 22-jähriger Managementstudent aus der tahitianischen Stadt Faaa. Auch er ist im laut seiner Beschreibung "völlig apolitischen" Studentenverband aktiv. "Weil es sonst wenige Vereine für Polynesier in Frankreich gibt, wo nicht Tanzen im Vordergrund steht." Einmal im Jahr tritt er so wie die meisten anderen Tahitianer die lange Reise nach Hause an. Und holt sich das vom Staat bezahlte Studentenflugticket fürs nächste Jahr ab. Die meisten seiner Landsleute, die in Frankreich studieren, was in der Universität von Papeete nicht angeboten wird, kehrten nach ihren Abschlüssen wieder zurück. "Wenn dann eine Krise kommt, bleiben sie aber lieber im Mutterland. Gut ausgebildete junge Leute werden schnell frustriert, weil die Korruption in Tahiti groß ist und die Infrastruktur noch immer relativ schlecht."

Rassismus durch die weißen Franzosen verspürten die Polynesier kaum, sagt sein Studienkollege Ellacott, dessen Ohrläppchen große schwarze Perlen aus Tahiti zieren. "Zumindest nicht direkt. Dafür haben die Leute eher Angst vor uns, weil wir so groß und kräftig sind und viele große Tattoos tragen." Manche hielten ihn und seinesgleichen freilich für Kannibalen, die fernab der Zivilisation aufgewachsen und keine echten Franzosen seien, hält Sage dagegen.

Martialische Tattoos

Auch Herenui Thomas fühlt sich bisweilen von der Mehrheitsgesellschaft ausgeschlossen. Die 31-Jährige tut mit ihrem Ehemann Tetiu, einem ausgebildeten Tänzer von den Marquesa-Inseln, alles dafür, sich zumindest optisch vom Bild der Gallierin abzuheben. Gemeinsam betreiben sie das einzige tahitianische Tattoo-Studio in Paris. Vor allem weiße Franzosen kommen dorthin, um sich martialisch anmutende Tätowierungen verpassen zu lassen. Alle zwei Wochen telefoniert sie mit ihren Eltern auf der Insel Tahaa. Ihr Vater, ein Pariser, ist "von der Hochzeitsreise vor 50 Jahren nicht mehr zurückgekommen ins kalte Frankreich."

Sie selbst ist nach ihrem Wirtschaftsstudium in Paris geblieben und wohnt gemeinsam mit ihrem Mann in einer kleinen Wohnung im 15. Arrondissement. Im Internet und über die polynesische Fernsehanstalt Réseau France outre-mer (RFO) hält sie sich über die Ränkespiele im politischen Papeete auf dem Laufenden. In der Diaspora treffe man sich bei Tanzveranstaltungen - oder wenn ab und zu jemand Poisson Cru zubereitet, die tahitianische Nationalspeise aus rohem Fisch und Kokosmilch. Finden zu Hause Wahlen statt, überträgt Thomas ihre Stimme auf ihren Vater. Er stimmt dann für sie ab. "Procuration" heißt dieser völlig legale und unter Diaspora-Polynesiern beliebte Wahlmodus.

"Atomtests noch immer Thema"

Das politische Geschehen in ihrer Heimat findet sie spannender als jenes in Frankreich. Sarkozy sei zwar ein populärer Mann auf den Inseln, sagt sie. Dass er die fernen Eilande nie besucht hat, verzeihe man ihm aber nicht so leicht. Überhaupt mangle es seit 2005, als der langjährige polynesische Präsident Gaston Flosse abgewählt wurde, an politischer Stabilität, klagt Thomas. Und auch die Atomwaffentests, die Frankreich bis 1996 jahrzehntelang auf der nahen Insel Mururoa durchführte, seien noch immer ein Thema auf den Inseln. Jeder zwanzigste Bewohner hatte einen der riskanten Jobs nahe des Testgeländes inne. "Viele Menschen sind danach krank geworden", sagt Thomas.

Was ihr in Frankreich am meisten fehlt? "Ganz klar das Essen", sagt Herenui Thomas. An manche der Gewürze, die sie in ihre Küche mischt, gelangt sie im China-Geschäft um die Ecke. Zwar könne man in Paris jederzeit frischen Fisch bekommen, an das Smorgasbord an exotischen Sorten wie in Tahiti reiche das Angebot aus Mittelmeer und Atlantik aber nicht heran. Auch wenn das Rauschen des Meeres noch so nach Tahiti klingt. (Florian Niederndorfer, derStandard.at, 18.4.2012)