Wahrnehmungsunterschiede: Ekel und Zorn lassen sich für Europäer vor allem vom Mund ablesen, für Menschen aus Ostasien hingegen von den Augen.

Foto: Oliver G.B. Garrod

Glasgow/Freiburg - Lange Zeit galt es als gesichert, dass die Mimik der sechs fundamentalen Emotionen - Freude, Überraschung, Angst, Ekel, Wut und Trauer - gleichsam als universale Sprache in jeder Kultur gleich geformt und verstanden wird. Bereits Charles Darwin bezeichnete dies als lebensnotwendig und somit biologisch begründet. Ein Irrtum, wie ein Forscherteam aus Freiburg und Glasgow berichtet: Ihren Studien zufolge nämlich bilden und interpretieren Europäer und Asiaten Gesichtsausdrücke deutlich unterschiedlich.

Während die europäischen Testpersonen die sechs Gefühlskategorien klar unterschieden, war die Definition bei Chinesen viel unschärfer, wie die Forscher am Montag im Fachblatt "Proceedings of the National Academy of Sciences" (PNAS) berichteten.

Intensität ohne Bedeutung

Offenbar bilde das westliche Konzept der Emotionen die Gefühlswelt der Asiaten nur schlecht ab, schrieben die Autoren. In asiatischen Kulturen seien andere Gefühle wie Scham, Stolz und Schuld ebenso fundamental. Überrascht stellten die Forscher zudem fest, dass die Asiaten der Intensität der Gefühle keine Bedeutung beimaßen. Während westliche Menschen zum Beispiel zwischen starker und leichter Angst unterschieden, kategorisierten Chinesen beides gleich. Dies könnte theoretisch daran liegen, dass starke Gefühle in ihrer Kultur eher unterdrückt werden, sagte Roberto Caldara von der Universität Freiburg.

Laut den Autoren lässt sich die Universalitäts-Theorie nicht länger aufrechterhalten. "Ausdruck und Verständnis von Gesichtsausdrücken sind sehr wohl stark kulturabhängig und keineswegs universell", sagte Caldara.

Das klare Resultat verdanken die Forscher einer neuen Methode. Statt auf den üblichen Katalog von Gesichtsausdrücken - von Schauspielern dargestellten - zurückzugreifen, ging Philippe Schyns von der Universität Glasgow individueller vor. Er spielte jeder der 30 Testpersonen am Computerbildschirm eine Serie von dynamischen Gesichtern vor. Die Person selbst gab an, ob ihr ein gewisser Ausdruck traurig, fröhlich oder wütend vorkam. Daraus wurden dann die Testgesichter erstellt.

Asiaten schauen auf die Augen

Schon in früheren Studien hatte das Team um Caldara kulturelle Unterschiede im Gesichterlesen nachgewiesen. Asiaten konzentrieren sich ausschließlich auf die Augen, um aus der Miene ihres Gegenübers dessen Gefühle abzulesen. Menschen aus westlichen Ländern hingegen schauen auch auf den Mund. Dies könnte den Forschern zufolge erklären, warum asiatische Gesichter für Weiße oft so starr wirken.

Der kulturelle Unterschied werde auch in den typischen "Emoticons" - kurzen Zeichenfolgen zum Ausdruck der Stimmung in E- Mails oder SMS - deutlich. Im Westen verdeutliche vor allem das Zeichen für den Mund die Stimmung. Im Osten seien dagegen auch bei den Smileys die Augen entscheidend - daher werden andere Sonderzeichen für fröhlich und traurig verwendet. (APA/red, derstandard.at, 17.4.2012)