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Bela Lugosi zeigt 1931 im Film "Dracula", wie's geht.

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Wien - Die Geschichte vom Grafen Dracula aus Transsylvanien kann man, wie alle großen Geschichten, auf verschiedene Weisen erzählen. Die Historiker wollen es genau wissen und kommen auf den Woiwoden Vlad III. in der Walachei im 15. Jahrhundert. Der kämpfte gegen die Osmanen, und war dabei nicht allzu zimperlich in der Wahl der Mittel (es heißt, er hätte gern gepfählt). Am Ausgang des 19. Jahrhunderts hat der irische Schriftsteller Bram Stoker dann über Vlad III. sehr frei einen großen Roman geschrieben. Durch ihn vor allem (und dann auch durch mindestens drei große Verfilmungen) kennen wir den Grafen Dracula erst als den Untoten mit den zwei spitzen Zähnen. Wie viel diese Geschichte zum lange Zeit schlechten Ruf des Knoblauchs beitrug, wäre eine spezielle Untersuchung wert, aber jedes Kind weiß heute, dass Vampire der gesunden Knolle mit Abscheu begegnen.

So funktionieren Mythologien: Sie sind zusammengesetzt aus archetypischen Fantasien und anschaulichen Details. Und so funktioniert auch Bram Stokers Dracula: als epische Zusammenschau einer Geschichte, die lange legendär war, bevor sie Literatur wurde. Hundert Jahre nach dem Tod von Bram Stoker, der am 20. April 1912 in London starb, ohne den Weltruhm seines Hauptwerks noch so richtig mitzubekommen, ist das Motiv von den Vampiren populärer denn je. Es gilt als richtiggehend schick, wenn jemand im Verdacht steht, ein "kaltes Wesen" zu sein. So werden in Stephenie Meyers Twilight-Romanen Vampire bezeichnet, die noch nicht, wie die Kollegen in der ebenfalls beliebten Fernsehserie True Blood, offensiv mit ihrer Sonderrolle umgehen.

In der Konjunktur der nachtaktiven Sargschläfer und Wiedergänger äußert sich ein Moment, das die Gefühlslage konterkariert, in der Stoker schrieb: Sein Dracula ist ein verblümter Sexualtraktat für eine hochgeschlossene Epoche, heute aber dienen die Geschichten von Blut und Blässe vornehmlich dazu, einer allzu offen ausgestellten Sexualität wieder das Geheimnis zurückzuerstatten.

Die Mythologie vom Grafen Dracula hat also eine ganze Menge Veränderungen durchlebt, nicht zuletzt überlebt darin aber auch eine Fantasie von einem (östlichen) Europa, das - spannend nachzulesen etwa bei dem Historiker Gábor Klaniczay - noch nicht vollständig von der Zivilisation eingeholt wurde. Ironischerweise beginnt Bram Stokers Dracula dabei mit einem Umstand, mit dem er der Zeit weit voraus war: Dass der Graf aus Siebenbürgen nämlich in London Immobilien erwirbt, das macht ihn zum Vorläufer heutiger Oligarchen und Neureicher, die in Kensington und Mayfair die teuren Häuser kaufen. Als Zivilisationsmythos erst wird die Geschichte von Dracula so richtig spannend, das soll aber den Teenagerträumen nichts von ihrer Intensität nehmen. (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 18.4.2012)