Moralische Werte und Entscheidungen sind für das Zusammenleben von Menschen unerlässlich. Deutsche Wissenschaftler haben nun erstmals untersucht, welche Hirnregionen während dieser Entscheidungsprozesse besonders aktiv sind. Dabei zeigte sich, dass sich die Hirnareale, die für moralische Entscheidungen eine Rolle spielen, fast vollständig mit denjenigen decken, welche entweder für das Nachvollziehen von Gedanken oder von Emotionen anderer Menschen wichtig sind.

"Der Befund spricht gegen die Existenz einer speziell moralischen Hirnregion und für die Entwicklung komplexer sozialer Leistungen wie moralischen Entscheidungen aus entwicklungsgeschichtlich älteren Hirnfunktionen", berichtet Danilo Bzdok. "Große Teile des medialen präfrontalen Kortex, des Präkuneus, der temporo-parietalen Junktion als auch die Amygdala und der posteriore zinguläre Kortex waren sowohl bei diesen Prozessen als auch bei moralischen Entscheidungen beteiligt."

Der Medizinstudent forscht im Rahmen des Internationalen DFG-Graduiertenkollegs "Schizophrenie und Autismus" an der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik am Aachener Universitätsklinikum. Außerdem arbeitet er gemeinsam mit Simon Eickhoff am Institut für Neurowissenschaften am Forschungszentrum Jülich.

Für ihre Analyse nutzten Eickhoff und Bzdok ein neues Verfahren zur statistischen Zusammenfassung funktioneller Bildgebungsbefunde. Mit der sogenannten Activation Likelihood Estimation Meta-Analyse wurden hunderte von Studiendaten auf statistische Gemeinsamkeiten untersucht. So konnten die beiden Forscher die bei moralischen, rationalen und gefühlsbasierten Entscheidungen genutzten Hirnregionen quantitativ und objektiv miteinander vergleichen.

Moralische sind rationale Entscheidungen

Die untersuchten funktionellen Bildgebungsbefunde zeigten zudem, dass es insbesondere rationale Verarbeitungsprozesse sind, auf deren Basis letztendlich moralische Urteile gefällt werden. "Diese Entscheidungsprozesse finden in den sogenannten default mode Regionen statt, die für die Verarbeitung unterschiedlichster abstrakter sozialkognitiver Überlegungen zuständig sind", berichtet Eickhoff.

Auf neurobiologischer Ebene scheint moralisches Denken also vor allem ein rationaler Prozess zu sein, der aber über das empathische Mitfühlen von Emotionen ins alltägliche zwischenmenschliche Leben eingebunden wird. Wissenschafter Eickhoff: "Dieses Bild menschlicher Moral deckt sich sehr gut mit klinischen Beobachtungen an Psychopathen, die bei theoretischen moralischen Fragestellungen überdurchschnittlich gut abschneiden, sich jedoch aus Mangel an Empathie im täglichen Leben unmoralisch verhalten." (red, derstandard.at, 17.4.2012)