Wien - So einig waren sich die fünf Parlamentsparteien schon lange nicht: Am Donnerstag soll das neue Israelitengesetz im Nationalrat beschlossen werden, Montagabend einigten sich die Parteien einstimmig über das Vorhaben im Unterrichtsausschuss. Der Protest der liberalen Juden von "Or Chadasch" (Neues Licht), die auch eine eigenständige Gemeinde gründen wollen, hat noch zu einer Adaption des Entwurfs geführt. Auf Antrag des grünen Abgeordneten Harald Walser wurde festgelegt, dass die Religionsgesellschaft die angemessene Vertretung aller bestehender Traditionen zu gewährleisten habe. Dass dies "Or Chadasch" genügt, glaubt Walser nicht, aber "ein Giftzahn wurde gezogen".

Tatsächlich hat sich für "Or Chadasch" zu wenig geändert. "Der Religionsgesellschaft gehören nur orthodoxe Gemeinden an, das haben die Politiker offensichtlich nicht verstanden", ärgert sich Präsident Theodor Much. Jetzt habe man "einen Blankoscheck ausgestellt", dass nur orthodoxe Strömungen vertreten werden. Muchs Conclusio: "Die Politik traut sich nicht, sich mit der Israelitischen Kultusgemeinde anzulegen." Obwohl "Or Chadasch" die Chancen für weitere Änderungen als gering einschätzt, will die liberale Gruppierung weiter gegen das Gesetz protestieren. In Österreich gehören der Vereinigung ungefähr 80 Familien an (IKG: rund 7000 Mitglieder) - weltweit sind es rund zwei Millionen Menschen.

"Verkirchlichung"

Unzufrieden mit dem Entwurf ist auch Richard Potz, Vorstand des Instituts für Rechtsphilosophie, Religions- und Kulturrecht an der Uni Wien. "Es gehört einiges repariert", sagt er. Es finde jetzt eine "gewisse Verkirchlichung statt, die israelitische Religionsgesellschaft wird quasi hierarchisiert".

Für Potz ergeben sich daraus "einige Unklarheiten hinsichtlich der Zuständigkeiten der gesamten Religionsgemeinschaft und der einzelnen Kultusgemeinden. Das reicht von der Gründung einer Kultusgemeinde bis zum Religionsunterricht. Da beide Ebenen dafür zuständig sind, ist mir ein Rätsel, wie man das organisieren möchte, da es ja nunmehr mehr als eine Kultusgemeinde an einem Ort geben kann." Dass eine liberale Gemeinde innerhalb der Religionsgesellschaft akzeptiert wird, glaubt er nicht: "Die Wahrscheinlichkeit scheint derzeit nicht hoch, wenn man weiß, wie groß die Spannungen zwischen Liberalen und Orthodoxen sind."

Ein Passus irritiert Potz: "Die Religionsgesellschaft ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts." Potz: "Das ist eine Feststellung, die sich nicht einmal im Konkordat mit der römisch-katholischen Kirche findet. Bisher ging man zu Recht davon aus, dass die Kirchen und Religionsgesellschaften 'nur' die Stellung derartiger Körperschaften haben, da sie ja keine Staatsaufgaben zu erfüllen haben." Das signalisiere eine "neue Nähe" einer Religionsgesellschaft zum Staat, "aber das scheint niemanden aufzuregen". (Peter Mayr, DER STANDARD, 18.4.2012)