Sophir Phay und Susanne Brandstätter, Regisseurin des Films "The Future's Past". Der Film wurde auf der Diagonale in Graz gezeigt, wo er mit dem Kamerapreis ausgezeichnet wurde. Ab 19. April ist er in ausgewählten Kinos zu sehen.

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Szene aus "The Future's Past": Diskussionen über das Regime der Roten Khmer bei der Familie Phay in Paris auf hohem Niveau.

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Szene aus "The Future's Past": Der buddhistische Mönch Teth Sophany ist der älteste Sohn armer Reisbauern, die unter dem Regime der Roten Khmer harte Zwangsarbeit leisten mussten.

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Szene aus "The Future's Past": Die Mutter der Studentin Sopha stammte aus einer reichen Familie und war daher eine Feindin der Revolution. Sie wurde zur Zwangsarbeit genötigt, verlor nahezu alle Verwandten. Während der Dreharbeiten zu "The Future's Past" versuchte Sopha erstmals zu ergründen, was während des Regimes Pol Pots geschah.

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Nach 30 Jahren des Schweigens werden die Grausamkeiten des Pol-Pot-Regimes in Kambodscha anlässlich des Rote-Khmer-Tribunals erstmals öffentlich und im Fernsehen diskutiert: Fünf Rote-Khmer-Führungskräfte, unter ihnen der Direktor des S-21-Gefängnisses, Kaing Guek Eav, genannt "Duch", werden für den Tod von rund 1,7 Millionen Menschen verantwortlich gemacht. "Duch" wurde mittlerweile zu lebenslanger Haft verurteilt, den anderen vier steht ein Urteil erst bevor.

Die Filmemacherin Susanne Brandstätter porträtiert in "The Future's Past" drei unterschiedliche kambodschanische Familien in Kambodscha und Paris und ihre Methoden, teilweise erstmals über die unfassbare Vergangenheit zu reden. Eine der Protagonistinnen ist die 23-jährige Sophir Phay, Tochter eines ehemaligen kambodschanischen Soldaten, der vor dem Khmer-Regime im letzten Moment nach Frankreich flüchtete. Im derStandard.at-Interview berichtet sie über die Bürde der Vergangenheit, Mitläufer, die "keine Wahl" hatten, und das Tribunal als historischen Meilenstein.

derStandard.at: War die Vergangenheit in Ihrer Familie ein Tabu?

Phay: Nein, im Gegensatz zu den Familien in Kambodscha haben wir immer darüber gesprochen. Ich habe schon mit zehn Jahren in der Schule mein erstes Exposé über das Regime der Roten Khmer geschrieben. Unserem Vater war und ist es wichtig, dass wir wissen, woher wir kommen und welches Glück wir haben, dass wir diesem Regime entkommen sind. Wir waren auch immer in Kontakt mit unseren Verwandten in Kambodscha. Im Großen und Ganzen wussten wir Kinder auch, was unsere Verwandtschaft in den Jahren des Regimes mitgemacht hat. Wir hören aber immer wieder neue Details, die wir noch nicht kannten. Erst während der Dreharbeiten haben wir zum Beispiel erfahren, was mit einem unserer Onkel passiert ist. Er wurde damals gefangen genommen und konnte nur knapp überleben.

derStandard.at: In dem Dokumentarfilm werden Szenen von Diskussionen in der Familie gezeigt, die hohes intellektuelles Niveau haben. Oft geht es auch um das Thema "Verantwortung". Ihr Vater gibt zu bedenken, dass viele Mitläufer des Regimes oft auch "keine Wahl" gehabt hätten. Verstehen Sie das?

Phay: Mein Vater ist sehr mutig, das auch von dieser Seite sehen zu können. Er solidarisiert sich ja nicht mit den Mitläufern, sondern versucht nur, ehrlich zu bleiben und die Situation richtig einzuschätzen. Unser Vater hat uns immer dazu gedrängt, zu den Geschehnissen von damals eine Distanz einzunehmen und alles kritisch zu hinterfragen. Seit wir Kinder waren, hat er uns dazu ermuntert, kritisch denkende Menschen zu sein, zu reflektieren und nicht pauschal zu urteilen.

derStandard.at: Eine einfache, aber zentrale Frage wird von einem der Mädchen im Film gestellt: "Wie konnte das alles passieren?" Gibt es darauf für Sie eine Antwort?

Phay: Das ist kompliziert. Natürlich gibt es Theorien dazu, die zu analysieren versuchen, wie ein derartiges Regime entstehen konnte. Aber egal, ob wir in Frankreich oder Kambodscha leben, wir haben Schwierigkeiten zu begreifen, warum das passiert ist. So geht es auch dem jungen Mönch im Film. Aus dieser Ohnmacht heraus ist auch zu erklären, warum er Überlegungen anstellt, ob nicht die Vietnamesen oder die Chinesen hinter der Organisation standen. Er kann eben nicht akzeptieren, dass man mit einer derartigen Brutalität gegen das eigene Volk vorgehen konnte. Ich habe in vielen Diskussionen erlebt, dass viele Leute sich dafür schämen, was passiert ist.

derStandard.at: Sie haben erst kurz vor unserem Interview das erste Mal den fertigen Film gesehen. Was ist Ihr Resümee?

Phay: Die Eindrücke sind natürlich jetzt sehr frisch. Sehr beeindruckt war ich von dem jungen Mönch, er nahm einen sehr mutigen Standpunkt ein. Erschreckend fand ich, dass bei den jungen Mädchen Zweifel aufkamen, ob die Geschichten ihrer Eltern und Großeltern auch tatsächlich stimmen. Das hat mich auch sehr traurig gestimmt.

derStandard.at: Gegenwärtig findet ein Prozess gegen vier hochrangige Rote-Khmer-Funktionäre statt. Der Einzige, der vom Rote-Khmer-Tribunal bisher verurteilt wurde, ist der Folterchef Kaing Guek Eav, genannt "Duch". Welche Rolle spielt das Tribunal für die Aufarbeitung des kollektiven Traumas in Kambodscha Ihrer Meinung nach?

Phay: Ich denke, dass das Tribunal ein historischer Meilenstein für Kambodscha ist. Durch das Tribunal werden die einzelnen Puzzleteile zusammengefügt und ein großes Gesamtbild entsteht. Eine Bestandsaufnahme sozusagen, eine erste umfangreiche Aufarbeitung. Das Tribunal ist gleichzeitig Anfangs- und Endpunkt. Der Anfang einer Erkenntnis und das Ende einer langen Zeit des Wartens. Eine völlige Heilung des kollektiven Schmerzes kann es freilich nicht geben, höchstens eine Linderung. Und keine Strafe kann je hoch genug sein, dass sie wiedergutmacht, was den Kambodschanern angetan wurde.

derStandard.at: Dem Tribunal wird immer wieder vorgeworfen, Ermittlungen über weitere mutmaßliche Täter nur unzureichend durchzuführen. Kambodschas Premier Hun Sen hat mehrmals erklärt, er werde, von den Prozessen gegen die vier Hauptverantwortlichen abgesehen, keine weiteren Verhandlungen zulassen.

Phay: Das haben wir von Anfang an befürchtet, und dass es jetzt so gekommen ist, verwundert nicht. Etliche ehemalige Rote Khmer sitzen immer noch in Schlüsselpositionen (Premier Hun Sen war selbst Roter Khmer, floh aber 1977 nach Vietnam und half, das Pol-Pot-Regime zu stürzen, Anm.). Einigen Verantwortlichen wurde bereits vor Jahren Straffreiheit zugesichert.

derStandard.at: Wäre es für Sie eine Option, nach Kambodscha zu übersiedeln, um eine Rolle in der Aufarbeitung zu übernehmen?

Phay: Meine ältere Schwester ist von Frankreich aus sehr engagiert. Mein Beitrag zur Aufarbeitungs- und Erinnerungsarbeit ist die Teilnahme an dem Film. Ich könnte mir eher vorstellen, mich für die Zukunft Kambodschas einzusetzen, im Bereich der Bildung und der wirtschaftlichen Entwicklung. Zusammen mit dem Aufbau eines funktionierenden Justizsystems sind das die wichtigsten Zukunftsthemen für das Land.

derStandard.at: Warum hat sich Ihre Familie überhaupt dazu entschieden, bei dem Dokumentarfilm mitzumachen?

Phay: Meine ältere Schwester, sie unterrichtet an der Universität Paris 8, wurde von der Regisseurin Susanne Brandstätter für ihre Hintergrundrecherchen kontaktiert. Als sie ihr erzählte, dass sie jüngere Geschwister hat, fragte uns Susanne, ob wir mitmachen wollten. Wir waren eigentlich von Anfang an interessiert, auch unsere Eltern. Allerdings war es schon noch ein längerer Entscheidungsprozess, bis wir tatsächlich zusagten. Schließlich war das ein sehr zeitaufwendiges Projekt.

Ich muss auch zugeben, dass ich erst während der Dreharbeiten so richtig begriffen habe, wie sehr wir durch die Teilnahme an dieser Dokumentation in der Öffentlichkeit stehen würden. Retrospektiv habe ich einige Sachen gesagt, die ich so nicht gemeint habe und mit denen ich zu weit gegangen bin. Die kamen aber im Film nicht vor, weil Susanne und ich das vereinbart haben. (Manuela Honsig-Erlenburg, 19.4.2012)