Nuklearwaffen zu bauen, das ist eine Sache. Sie auch einzusetzen, eine ganz andere. Dafür werden entweder strategische Bomberflotten oder Raketen mit entsprechender Reichweite und Ladekapazität gebraucht. Mit dem erfolgreichen Test der Agni V hat sich Indien in den exklusiven Klub jener Mächte katapultiert, die nukleare Vernichtung über tausende Kilometer transportieren und somit auch militärische Macht global projizieren können.

In Delhi ist man sich völlig im Klaren darüber, dass es für ein Land mit Großmachtambitionen unerlässlich ist, diese auch mit entsprechender militärischer Glaubwürdigkeit zu hinterlegen. Die getestete Interkontinentalrakete ist ein Baustein dafür. Andere sind ein kurz vor Bauende stehendes Atom-U-Boot, das den Indern eine "Zweitschlagskapazität" (also die Möglichkeit eines nuklearen Gegenangriffes) bringt, oder die Modernisierung der Luftwaffe um zehn Milliarden Dollar, die wahrscheinlich für französische Rafale-Kampfjets ausgegeben werden.

Im engeren strategischen Fokus steht für Delhi die Rivalität zu China. 1962 haben die Inder einen Grenzkrieg gegen die Chinesen verloren, es gibt noch immer Territorialstreitigkeiten zwischen beiden Ländern. Mit der Einsatzfähigkeit von Agni V ab 2014 gleicht Indien etwas von der nuklearen Überlegenheit Chinas aus. Genau diese Waffengleichheit mögen auch die USA im Sinn gehabt haben, als sie das Nukleararsenal Indiens 2008 de facto legitimierten. (Christoph Prantner, DER STANDARD, 20.4.2012)