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Wenn Nervenzellen im Gehirn verletzt sind, wirkt sich das auf den gesamten Körper aus.

Man stürzt mit dem Rad, fällt auf den Kopf, schlägt sich den Schädel an einem Balken an oder prallt beim Schwimmen mit einem anderen zusammen: Kopfverletzungen verlaufen zwar meist relativ glimpflich, doch 15 Prozent der Menschen leiden nach einer leichten Hirnverletzung unter dem sogenannten Postkonkussions-Syndrom: Sie haben immer wieder Kopfschmerzen und/oder Schwindelgefühle, können sich nicht richtig konzentrieren oder schlafen schlecht - viele sind reizbarer als früher. Belastend ist vor allem, wenn Mitmenschen denken, diese Folgeerkrankungen würden simuliert.

Denn bei den meisten verschwinden diese Beschwerden zwar innerhalb von Wochen, einige leiden aber noch nach Monaten darunter. "Vielleicht sind leichte Hirnverletzungen nicht so leicht, wie wir immer dachten", sagt Roberto Vagnozzi, Neurochirurg an der Universität Tor Vergata in Rom, " denn sie können zu Veränderungen des Stoffwechsels im Hirn führen. Diese sieht man mit Computertomogrfhie oder normalem Kernspin aber nicht."

Bis sich der Stoffwechsel wieder normalisiert hat, ist das Gehirn besonders empfindlich. Bis dahin gilt es, weitere Verletzungen zu vermeiden. "Schon ein leichter Unfall kann dann einen großen Schaden verursachen", sagt Vagnozzi. Bis vor kurzem war es allerdings nicht einmal möglich zu erkennen, ob sich die Hirnzellen erholt haben.

Nachweis für Schädigung

Jetzt gibt es eine neue Technik, mit der man den Erholungszustand der Nervenzellen darstellen kann. Mithilfe der Kernspinspek-troskopie misst man die Konzen-tration der Substanz N-Acetylaspartat (NAA) im Gehirn. Vagnozzi wendet sie vor allem bei Sportlern an, die wissen wollen, wann sie wieder gefahrlos trainieren können. "Nur richtig gesunde Nervenzellen produzieren ausreichend NAA", erklärt Vagnozzi. In einer Studie mit 40 Sportlern, die sich den Kopf verletzt hatten, verglich er die Werte mit denen von Gesunden. Bei den Sportlern fand er drei, 15 und 22 Tage nach dem Unfall deutlich geringere NAA-Konzentrationen, die erst nach 30 Tagen wieder so hoch waren wie bei der Kontrollgruppe. Doch die Verletzten sagten schon nach wenigen Tagen, dass sie sich wieder gut fühlen. "Das subjektive Gefühl stimmt offensichtlich nicht, denn im Gehirn haben wir den Schaden noch gesehen."

"Das ist eine interessante Technik", sagt Christian Matula, leitender Neurochirurg an der Med-Uni Wien, "es ist aber nur ein Teil des Puzzles, um den Schaden nach einer Hirnverletzung zu beurteilen." Problematisch an der Spek-troskopie sei, dass diese die NAA-Konzentration immer nur in einem kleinen Gewebswürfel im Gehirn beurteilt. "Erfasst man mit dem Gerät eine falsche Stelle, kann das Ergebnis fälschlicherweise normal sein - ähnlich wie wenn man mit einer Nadel Tumorgewebe für die Diagnose entnehmen will und am Krebs vorbeisticht."

Eine internationale Arbeitsgruppe ist gerade dabei, ein neues Klassifikationssystem für Hirnverletzungen zu entwickeln. "Dabei stützt man sich auf verschiedene Arten von Untersuchungen, die uns zusammen ein Bild vom Ausmaß des Schadens geben", erklärt Matula. Zum einen sind das neuropsychologische Tests, zum anderen Aufnahmen des Gehirns und Blutwerte.

Neben der Spektroskopie hält Matula die hochauflösende Kernspintomografie für vielversprechend. "Damit erkennen wir die Strukturen im Gehirn besser." So könnte man zum Beispiel sehen, ob der Hippocampus, eine Gehirnregion, die für das Gedächtnis eine wichtige Rolle spielt, nicht mehr gut durchblutet ist. Das eignet sich dann auch zur Erfolgskontrolle: Erholt sich das Gewebe, kann man nach einigen Wochen sehen, dass der Hippocampus wieder besser durchblutet wird. Auch andere bildgebende Verfahren wie etwa das "diffusor tensor imaging" würde gestestet. Mit dieser Kernspin-Technik stellt man Nervenfasern im Hirn dar, die bei einem Schaden anders aussehen.

Im Blut kann man indes Eiweiße messen, die bei einem Nervenschaden freigesetzt werden. So zeigten kürzlich kanadische Wissenschafter, dass die neuronenspezifische Enolase und das Protein S100B bei mehr als jedem Zweiten von 141 Patienten mit einem Postkonkussionssyndrom erhöht waren und dass man zusammen mit anderen Untersuchungen auf den Verlauf schließen konnte. Neben diesen Eiweißen werden noch andere Parameter untersucht. "Noch gibt es nicht genügend Studien, um eine dieser Untersuchungen als Routine zu empfehlen", so Matula, der hofft, sich mit dem Klassifikationssystem in Zukunft ein genaueres Bild vom Schaden machen zu können.

Gestörte Hirnzellen

Für die Entstehung des Syndroms gibt es verschiedene Erklärungen. "Die Nervenzellen verarbeiten die elektrischen Signale nicht mehr gut, und es kommt zu Änderungen in der Elektrolytkonzentration", erklärt Sönke Johannes, Chefarzt der Schweizer Rehaklinik Bellikon, "zum anderen funktioniert der Stoffwechsel in den Zellen nicht mehr so gut, und sie brauchen mehr Glukose." Manche Experten halten die Beschwerden für eine psychische Reaktion auf den Unfall.

Eine Therapie, mit der sich die Symptome einer Gehirnerschütterung rasch heilen lassen, gibt es nicht. "Man sollte im Alltag nur das machen, was ohne Anstrengung gut geht", rät Johannes. "Wichtig ist, ausreichend zu schlafen und sich tagsüber Pausen zu gönnen." Lassen die Beschwerden nach, könne man die Belastung schrittweise steigern und mit leichtem Sport beginnen. Manchmal verschreiben Ärzte Medikamente oder eine Psychotherapie. Verhindern lässt sich das Syndrom nicht. Das Risiko ist umso höher und die Symptome schlimmer, je stärker die Krafteinwirkung auf das Hirn war. "Manchmal kann man sich schützen", sagt Johannes, "zum Beispiel mit einem Helm beim Fahrradfahren." (Felicitas Witte, DER STANDARD, 23.4.2012)