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Foto: APA/Oliver Berg

Berlin/ Hamburg - Zwei Drittel aller Patienten in der psychosomatischen Rehabilitation leiden unter Job-Angst. Die Vorstellung, an den Arbeitsplatz zurückzukehren, löst bei Betroffenen Herzrasen, Zittern und Panikgefühle aus. Job-Angst ist eine gesundheitliche Störung, die sich von anderen psychischen Beschwerden deutlich unterscheidet. Zu diesem Ergebnis kommt Beate Muschalla vom Rehabilitationszentrum Seehof in Teltow. Die Psychologin erforscht gemeinsam mit Michael Linden, leitender Arzt an der Klinik Seehof und Leiter der Forschungsgruppe Psychosomatische Rehabilitation an der Charité-Berlin, seit etwa zehn Jahren, wie Job-Angst diagnostiziert und therapiert werden kann.

Diese spezifische Angst ist demnach sehr häufig verbunden mit Aktivitäts- und Teilhabestörungen, die zu langen Zeiten der Arbeitsunfähigkeit bis hin zur Frühverrentung führen. Weil psychische Erkrankungen in der Bevölkerung deutlich ansteigen und gleichzeitig das Renteneinstiegsalter auf 67 angehoben wird, hält Muschalla es für enorm wichtig, Patienten individuell zu unterstützen, ihre Arbeits- und Leistungsfähigkeit möglichst lange zu bewahren oder zurückzugewinnen.

Handfeste Phobie

Juliane Berger (Name geändert) galt als geheilt. Die Lehrerin schien ihre depressive Episode nach der mehrmonatigen Krankschreibung gut überstanden zu haben. Der Weg zurück an den Arbeitsplatz Schule aber gelang ihr trotz Therapie und Medikamenten nicht. Und das obwohl ihr das Unterrichten und der Umgang mit Jugendlichen zuvor immer Spaß gemacht hatte. Juliane Berger kehrte erst wieder an ihren alten Arbeitsplatz zurück, nach dem sie ihre Job-Angst in einer Rehabilitation bearbeitet hatte. „Die betroffenen Patienten haben nicht einfach nur Ängste, sondern handfeste Phobien. Sie führen dazu, dass sie die Rückkehr an den bisherigen Arbeitsplatz mit allen Mitteln vermeiden wollen und zugleich darunter leiden", sagt Muschalla.

Das Rehabilitationszentrum Seehof der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV Bund) hat sich bereits vor Jahren auf die Behandlung arbeitsplatzbezogener Gesundheitsprobleme und Job-Angst spezialisiert. 

Das Wichtigste in der Behandlung ist, das Krankheitsbild solide zu diagnostizieren und von anderen Formen abzugrenzen: „Ob eine Job-Angst vorliegt oder die Angst eher andere Auslöser hat, muss zu Beginn genau getestet werden", sagt Muschalla. Neben der eingehenden klinischen Untersuchung durch den Psychotherapeuten wird dabei auch ein Fragebogen eingesetzt, die „Job-Angst-Skala", die die Forschungsgruppe Psychosomatische Rehabilitation an der Charité-Berlin entwickelt hat.

Der Fragebogen hilft den beruflichen Belastungen auf den Grund zu gehen. Er listet Situationen und Gefühle auf, die häufig mit Arbeitsplatzängsten auftreten. Zum Beispiel: Auf das Gefühl, der Willkür von Kollegen ausgesetzt zu sein, körperlich mit Zittern oder Herzrasen zu reagieren. Die Betroffenen kreuzen auf einer mehrstufigen Skala an, wie stark die Aussagen auf ihre Person zutreffen. 

Situationsbedingte Ängste

Muschalla hat mittlerweile die Beschwerden von mehreren Hundert Patienten auf diese Weise eingestuft. Das Ergebnis: Meist treten die Job-Ängste in bestimmten Situationen auf - etwa in der wöchentlichen Dienstbesprechung in der Zusammenarbeit mit bestimmten Kollegen. Erst an dritter Stelle stehen die Ängste, die auch Juliane Berger plagten - das Gefühl, dem Berufsalltag nicht mehr gewachsen zu sein. „In der Depression", sagt Muschalla, „hat sich die Patientin als insuffizient und hilflos erfahren. Daraufhin wuchs in ihr eine weitergehende Angst, den Ansprüchen am Arbeitsplatz nicht mehr gerecht werden zu können."

Die Psychologin kombinierte für ihre Patienten verschiedene Behandlungsformen: So erfuhr Juliane Berger in verschiedenen Tests, dass sie leistungsstark ist und Belastungen durchaus standhält. Dazu kamen Informationen und Gespräche über die Art der Erkrankung. Das half Juliane Berger, ihr Selbstbild zu korrigieren. Zudem trainierte sie, wie sie sich in belastenden Situationen anders verhalten und in ihren Alltag eine gute Balance zwischen Anspannung und Entspannung finden kann.

Reha-Psychologin Muschalla nahm in Absprache mit der Patientin Kontakt zur Schule auf, an der die Mittvierzigerin seit Jahren unterrichtet und ebnete ihrer Patientin den Weg für eine stufenweise Rückkehr. Berger nahm die Arbeit nach und nach wieder auf. Eine Sozialarbeiterin der Klinik begleitete sie dabei in der Anfangsphase des Wiedereinstiegs. Ihre Job-Ängste hat sie erfolgreich gebannt. „Nach einer aktuellen Erhebung, die wir jüngst erstellt haben, kehren etwa zwei Drittel unserer Patienten wieder an einen Arbeitsplatz zurück. Job-Angst muss also nicht zwangsläufig zu längerer Arbeitsunfähigkeit führen", sagt Beate Muschalla. (red, 20.4.2012)