Schwarzer Mainstream-Politiker Spindelegger: grundanständig, fleißig, ausdauernd - aber mit dem Nimbus des Verlegenheitskandidaten behaftet.

Foto: STANDARD/Cremer

Die ÖVP-Wahlergebnisse seit 1945, bis in die Achtziger Jahre lag man über 40 Prozent.

Grafik: DER STANDARD

Sturm und Drang sind seine Sache nicht. Selten nur wage sich Michael Spindelegger ans Netz vor, erzählt der Tennis-Zampano Ronnie Leitgeb: " Aufschlag-Volley-Spieler ist er sicher keiner". Dafür wiesle sein Schul- und Sportsfreund aber wie aufgezogen an der Grundlinie entlang - ausdauernd und zäh.

Pausenlos Bälle retournieren, die scharf und angeschnitten übers Netz fliegen: Damit ist der Vizekanzler, Außenminister und ÖVP-Chef nicht nur am Tennisplatz beschäftigt. Doch in der Politik stehen die tückischsten Gegner mitunter im eigenen Feld. Bockige Landesfürsten, stolpernde Minister und vor allem in Korruptionsvorwürfe verstrickte (Ex-)Kollegen machen Spindelegger zum Getriebenen. Statt die Partei in die Zukunft zu führen, strudelt er sich mit Vergangenheitsbewältigung ab. In einer "Art Starre und Defensive", sieht Erhard Busek, Spindeleggers Vor-Vor-Vor-Vorgänger als ÖVP-Chef und Vizekanzler, die Seinen gefangen: Optimismus versprühten sie keinen.

Zurück an den Start

Die ÖVP ist damit wieder dort - in Umfragedaten: knapp über 20 Prozent - gelandet, wo sie Spindelegger vor einem Jahr übernommen hat. Einen desperaten, uneinigen Haufen erbte der Niederösterreicher von Landsmann Josef Pröll, den nicht nur Krankheit, sondern auch Obstruktion in den eigenen Reihen zermürbt hatte.

Tatsächlich gelang es Spindelegger, den Flohzirkus vorübergehend zu bändigen. Das Sparpaket brachte er ohne Aufstände durch, im Match Sparen gegen Steuern gelang ein 70:30-Punktesieg über die SPÖ. Die ÖVP habe sich aufgerappelt, konstatiert Meinungsforscher Peter Ulram - doch dann kehrten im Untersuchungsausschuss die Gespenster der Vergangenheit zurück.

Anständig, fleißig, "kein Revoluzzer"

Ehrliche Fassungslosigkeit überkomme Spindelegger angesichts des von Schmiergeldern und Gefälligkeiten gespeisten Sumpfes, versichern Vertraute, zumal der Chef selbst eine fast mönchische Bescheidenheit pflege. Nie trinke der 52-Jährige ein Glas zu viel, sündteuren Innenstadtlokalen ziehe er die Kantine des Außenministeriums vor. " Anstand" und "Fleiß" fallen Weggefährten als Attribute ein, von Exzessen berichtet keiner. Nicht einmal Anekdoten sind überliefert.

"Ein Revoluzzer war er sicher nicht", erinnert sich Ronnie Leitgeb an die gemeinsame Schulzeit in einer Bubenklasse im Wiener Nobelvorort Hinterbrühl, wo ihnen eine strenge Lehrerin gegenseitigen Respekt einbläute. Nach der Matura schlug der Bürgermeistersohn Spindelegger eine Laufbahn ein wie unzählige Schwarze zuvor: Jusstudium, Landesdienst, Milizoffizierslaufbahn, Abstecher in die Privatwirtschaft (Alcatel, Siemens, Verbund), Beitritt zum konservativen Cartellverband (CV) - konkret zur Verbindung Norica, der auch sein großes Vorbild Alois Mock angehört.

Für Plassnik eingesprungen

Als "Karriere mit Leere" beschrieb Profil einmal süffisant Spindeleggers unauffälligen Weg. Nach einer Lehrzeit im Kabinett des als erzkonservativen Hardliner verschrieenen Verteidigungsminister Robert Lichal saß er zwölf diskrete Jahre im Nationalrat ab, eines im Europaparlament und zwei weitere als zweiter Nationalratspräsident. Ein Zufall spülte Spindelegger letztlich in die erste Reihe. Ursula Plassnik weigerte sich bei der Regierungsbildung 2008, unter Kanzler Werner Faymann weiterhin die Außenministerin zu spielen. Spindelegger sprang ein.

Der Nimbus des Verlegenheitskandidaten blieb ihm beim finalen Karrieresprung erhalten. Als Pröll im Vorjahr aufgab, war Spindelegger kleinster gemeinsamer Nenner der zerrütteten Partei, für den besonders eines sprach: Dass er offenbar keine echten Feinde hat.

Als "sachorientierten Politiker, der stets gut informiert in die Verhandlungen kommt - und bei allen Gegensätzen - konsensorientiert agiert" schätzt ihn SPÖ-Chef Faymann. Das Lob ist wohl nicht geheuchelt - und schürt in der ÖVP entsprechende Bedenken. So mancher würde die " harte Hand", die ihm angeblich "Stahlhelm" Lichal mitgegeben habe, gerne endlich in Aktion sehen.

Vorwurf der Unentschlossenheit

Busek wundert sich etwa, dass Spindelegger personell nicht stärker durchgegriffen hat: "Vor allem rund um den Untersuchungsausschuss war sein Krisenmanagement ein Problem." Spindelegger müsste sehen, dass der in eine Telekom-Affäre verstrickte Werner Amon als Ausschussvertreter " eine Belastung für ein erträgliches Ergebnis der ÖVP ist".

Ein Verhaltenskodex für die eigenen Leute, aber keine konsequente Exekution: Unentschlossenheit gilt Kritikern in der ÖVP als ein Charakteristikum des ersten Spindelegger'schen Jahres. Weder setzte es den konservativen Backlash, den man von seiner tiefkatholischen Prägung ableiten könnte, noch einen Modernisierungsschub. Eine angedeutete Wende in der Familienpolitik wurde im Frühstadium wieder abgeblasen. Leistungsgerechtigkeit predigt Spindelegger landauf, landab - doch stärkeren Eindruck hinterlassen hat wohl das herzhafte "Her mit dem Zaster" der Innenministerin.

Zerreißen wie den Pröll

"Neue Wege" in Demokratie, Bildung und Wirtschaftspolitik wünscht sich Ex-VP-Klubchef Heinrich Neisser, der sich für die Reforminitiative " MeinOE" engagiert - und vermisst schmerzlich Antworten aus der ÖVP: "Zukunftsorientierung findet nicht mehr statt." Dem "grundanständigen und unverdrossenen" Spindelegger persönlich gibt Neisser daran die geringste Schuld. Neben dem Regierungsgeschäft bleibe für die Wiederbelebung der Partei einfach kein Platz - weshalb die Ämter getrennt werden sollten.

Neisser ist nicht der einzige, der Spindelegger als Opfer der Verhältnisse sieht. "Es wird ihn zerreißen wie Josef Pröll", prophezeit ein ÖVPler unter Hinweis auf die wachsenden Egoismen der Landesparteien, von denen die klamme Bundespartei finanziell abhängig sei; erst diese Woche watschten die Steirer die Regierung wieder einmal als mutlos und untätig ab. Bestehen werde ein Frontmann nur dann, wenn die Landeskaiser das Gefühl hätten, mit ihm Siege einfahren zu können - schlechte Karten für einen Mann ohne Eigenschaften. "In Wahrheit", sagt der Insider, " braucht die Partei aber keinen neuen Obmann. Der Obmann braucht eine neue Partei."

Bemühen um neue Ideen

Spindelegger arbeitet eifrig daran, die Skeptiker zu widerlegen. Er investiert viel in innerparteiliche Kommunikation, bemüht sich um kantigere Rhetorik. Am 2. Mai trommelt er "Praktiker, Wissenschaftler, Vor- und Querdenker" zum Kick-off seiner Zukunftsinitiative "Unternehmen Österreich 2025" zusammen - auf dass für die ÖVP neue Ideen sprudeln.

Mut kann Spindelegger vielleicht aber auch aus seinem Lieblingssport schöpfen. Mit den gleichen Tugenden, sagt Tennispartner Leitgeb, habe es Rafael Nadal zur Nummer 1 der Welt gebracht. (Gerald John, Nina Weißensteiner, DER STANDARD, 21./22.4.2012)