Graz - Auf dem Programmfolder von Graz Alexanderplatz ist eine akribisch detaillierte Kinderzeichnung von Graz zu sehen, eine naive Ansicht von oben. Einmal mehr macht das Theater im Bahnhof sein Graz zum "Modell der Welt". Autorin Pia Hierzegger bezieht sich nicht nur im Titel auf Alfred Döblin. Zusammen mit Stadtschreiberin Barbara Markovic verfasste sie ein Stück, das vielfältige Bezüge zu Döblins Großstadtroman her-, aber trotzdem in einen neuen Zusammenhang stellt.
Der Text der Stadt, das sind Verbote und Verheißungen. Markovic nimmt ihn von Plakaten und Hinweisschildern, von Werbetafeln und Geschäftsaushängen. Ein ewiges Summen, Hintergrundmusik für eine Tragödie. Hierzegger legt der Protagonistin Marion Schreiner Monologe von wachsender Unordnung in den Mund, von Depression und Lethargie, der sich die Regie von Ed. Hauswirth und Monika Klengel (zu) ausführlich hingibt.
Wie für Franz Biberkopf ist die Stadt auch für Marion Schreiner eine Strafe: laut, voller Menschen. Hierzegger versieht ihre "Biberköpfin" mit vielen Anspielungen auf Döblins Haftentlassenen, einen lahmen linken Arm etwa, der ihr von einem Baustellenunfall geblieben ist. Nach 18 Jahren Berufs- und Lebenspartnerschaft verlassen und ohne finanzielle Absicherung, ist die Architektin - wie Franz Biberkopf - auf der Flucht vor der Vergangenheit. Marion Schreiner wird von sechs Frauen gespielt, die letzte Szene - ihr Selbstmord mit Tabletten und Alkohol - von Martina Zinner als ein leises, beklemmendes Zur-Ruhe-Kommen.
Im Bewusstseinsstrom von Graz Alexanderplatz zeigt das TiB wie immer keine Angst vor Banalitäten. Als erratische Regiefigur dirigiert Jacob Banigan das (zuweilen schleppende) Ganze, macht dessen Spielcharakter deutlich. Das Ensemble bildet meist eine Gruppe unbeteiligter Zuschauer, die Schach spielen, essen oder mit skurrilen Szenen zwischen die Monologe treten, die in vielen Varianten vom Loslassen handeln. (Beate Frakele, DER STANDARD, 21./22.4.2012)