Am Hauptresultat des ersten Durchgangs der Präsidentschaftswahl in Frankreich gibt es nichts zu deuteln: François Hollande geht klar vor Nicolas Sarkozy in die Stichwahl und nimmt damit eine ernsthafte Option auf den Chefposten im Elysée-Palast. Der 57-jährige Sozialist hat diesen persönlichen Etappensieg weniger seinem Charisma zu verdanken als seinem taktischen Feingefühl. Damit besiegte er nicht nur den gewieften Wahlkämpfer Sarkozy, sondern auch seinen auftrumpfenden Linksrivalen Jean-Luc Mélenchon.
Fast noch spektakulärer ist allerdings das Abschneiden von Marine Le Pen: Die Rechtsextremistin dürfte bis zu 19 Prozent der Stimmen erzielt haben - ein Spitzenergebnis für den Front National. Das wäre noch mehr, als ihr Vater Jean-Marie Le Pen vor zehn Jahren erzielte; er stach damals im ersten Wahlgang den Sozialisten Lionel Jospin mit 17 Prozent aus, um erst in der Endwahl an Jacques Chirac zu scheitern.
Jetzt scheint nicht ein Sozialist, sondern ein Bürgerlicher ein Opfer des Schreckgespenstes Le Pen zu werden: Um auf Hollande aufzuschließen, fehlen Nicolas Sarkozy genau die Stimmen, die Marine Le Pen zu den Umfrage-Prognosen hinzugemacht hat.
Der Grund ist nicht weit zu suchen: Namentlich in der Merah-Affäre in Toulouse versuchte der amtierende Präsident, dem Front National mit billiger Anbiederei Wähler abspenstig zu machen. Diese bevorzugen aber, um mit dem alten Fuchs Le Pen zu reden, das Original gegenüber der Kopie.
Sarkozys Taktik für den ersten Wahlgang ist damit kläglich gescheitert. Er hätte den Spitzenplatz im ersten Wahlgang gebraucht, um seiner wankenden Kandidatur neue Dynamik zu verleihen. Jetzt gerät er zwischen die Fronten: Er muss gleichzeitig Le-Pen-Wähler wie die politische Mitte des Zentristen François Bayrou ansprechen - politisch ein Ding der Unmöglichkeit.
Laut vertieften Studien der Meinungsforscher scheint höchstens die Hälfte dieser zwei Wählergruppen bereit zu sein, zu dem teils geradezu verhassten Sarkozy überzulaufen. Damit steht der Staatschef arithmetisch auf verlorenem Posten. Um noch zu gewinnen, müsste er geradezu zaubern - und das wäre selbst vom Tausendsassa im Elysée etwas viel verlangt. (Stefan Brändle aus Paris, derStandard.at, 23.4.2012)