Monika Mokre

Foto: STANDARD/Cremer

Barbara Neuwirth

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Thomas Dürrer

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Harald Huber

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Konrad Becker

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Andrea Schurian bat den Medienkünstler Konrad Becker, den Gewerkschafter Thomas Dürrer, die Autorin Barbara Neuwirth, den Musiker Harald Huber und die Wissenschafterin Monika Mokre zur Diskussion.

STANDARD: Ein deutsches Gericht hat einer Klage der Musikverwertungsgesellschaft Gema gegen Youtube stattgegeben. Hat Kunst Recht? Oder braucht Kunst Recht und neue Gesetze?

Huber: Niemand hat von vornherein recht. Es ist eine Frage der Verhandlungen.

Neuwirth: Kunst hat ein Recht - nämlich das Urheberrecht. Das muss weiter vertieft und den technologischen Entwicklungen angepasst werden.

Becker: Wir brauchen keine weitere Juristifizierung! Ich beobachte seit zehn, zwanzig Jahren, dass die Copyright-Gesetzgebung auf allen Ebenen so drastisch wie nie zuvor verschärft wird. Trotzdem geht es den Künstlern immer schlechter. Ich bin Künstler, meine Arbeit ist durch diese Copyright-Regimes eingeschränkt. Ich schicke jedenfalls meine Werkanmeldung seit Jahren nicht mehr an die AKM und verzichte auf mein Geld, weil mir der Verein durch und durch suspekt ist. Und es gibt zahlreiche Musiker einer neuen Generation, die nicht mehr bereit sind, AKM-Mitglied zu werden.

Mokre: Mich stört die Argumentation von "Kunst hat Recht". Offenbar verschafft nur der Markt Respekt, nur die Bezahlung über den Markt ist ehrenvoll, Subvention wird mit Sozialhilfe in einen Topf geworfen. Das haben wir schon einmal anderes diskutiert: Subvention als öffentliches Entgelt für Leistungen für die Gesellschaft. Arbeit definiert sich nicht dadurch, dass sie im Stücklohn bezahlt wird wie Semmeln. Es geht ganz grundsätzlich darum, wie man eine gesellschaftliche Leistung definiert und entlohnt. Darüber sollte man debattieren, nicht über eine Verschärfung des Urheberrechts.

Neuwirth: Mehr Geld für zeitgenössische Kunst muss eingefordert werden, keine Frage. Aber bei "Kunst hat Recht" geht es ganz konkret ums Urheberrecht. Wir wollen als Kunstschaffende nicht ignoriert werden.

Dürrer: Das Recht der ausübenden Künstler werden wir nur schwer ausbauen können, aber zumindest bewahren. Es handelt sich um geistiges Eigentum. Aus, Schluss, basta!

Becker: Was bedeuten geistiges Eigentum, Urheberrechte oder Kopiermöglichkeiten in einem gesamtpolitischen Zusammenhang? Diese Debatte wird seit 20 Jahren international geführt. Der Zugang zu Kunst, Kultur und Bildung sollte durch das Internet leichter sein, das war das Versprechen, die Euphorie und Utopie der 90er-Jahre. Daraus wurde nichts, im Gegenteil, wenige große Player teilen sich den Kuchen und fordern Regeln zu ihren Gunsten. Manche Menschen glauben, dass Kunst und Kultur Waren sind, die man abpackt und ihren Preis durch künstliche Knappheit hinaufjagt. Aber in einer wirklich demokratischen Gesellschaft muss Kultur das Rohmittel für alle - und daher für alle frei zugänglich sein.

STANDARD: Um welche Beträge geht es da: Wie hoch ist der Tantiemenanteil am Einkommen?

Neuwirth: Von Jahr zu Jahr unterschiedlich.

Huber: Und ich bin ein schlechtes Beispiel, weil ich durch meinen Job an der Musikuniversität ein fixes Einkommen habe. Aber für Komponisten, Texter, Autoren sind Tantiemen wichtig.

Becker: Die Diskussion ist doch bizarr: Kürzlich hat sich ein Steinbildhauer beschwert, dass er aus dem Internet keine Dividende beziehen kann! Also ich kenne niemanden, der Steinskulpturen auf seine Harddisk lädt. Die Frage ist, ob man sich bei einem Kunstverständnis, das dem 21. Jahrhundert entspricht, nicht um etwas anderes kümmern müsste als um die einzelnen Artefakte - egal, ob man sie downloaden kann oder nicht.

Mokre: In der Wissenschaft ist es eine Grundregel, auf den bisherigen Wissensstand Bezug zu nehmen und dies durch korrektes Zitieren offenzulegen. Doch manchmal hört man etwas bei Kongressen, kann es später nicht mehr genau zuschreiben, verwendet es aber in der eigenen Arbeit. Wenn etwas weitergeht in der Wissenschaft - und ich denke, das ist in der Kunst ähnlich -, dann doch genau durch solche kollektiven Prozesse.

Neuwirth: Aber das Vervielfältigungsrecht muss abgegolten werden! Meine Arbeit ist mein Beitrag für die Gesellschaft. Ich will eine gesellschaftliche Situation, die diesem Anspruch Rechnung trägt.

STANDARD: Für viele Kunstschaffende ist das Internet die einzige Präsentationsform. Sie bevorzugen Views statt Tantiemen.

Neuwirth: Wer will, kann ja sein Werknutzungsrecht hergeben - oder eben nicht. Er oder sie kann mit einer Verwertungsgesellschaft einen Vertrag abschließen, muss es aber nicht. Das sind persönliche Entscheidungen.

STANDARD: Wie könnte man die Urheberrechte im Internet regeln?

Becker: Es ist beschämend, dass in einem Land mit dieser Vergangenheit Künstler für ein neues Polizeistaatssystem auf elektronischer Basis eintreten! Nichts anderes ist, was hier gefordert wird: dieselbe Technologie, die in China oder im Iran eingesetzt wird, um zu überprüfen, wer was im Internet macht.

Huber: Nein! "Kunst hat Recht" ist für eine Verschärfung des Urheberrechts im Internet, aber gegen Überwachung, gegen Kriminalisierung von Usern und gegen Verfolgung privater Downloads urheberrechtlich geschützter Werke. "Kunst hat Recht" ist gegen Netzsperren, aber der Zugang zu Webangeboten, die Urheberrechtsverletzungen darstellen, müssen weiterhin über richterlichen Beschluss gesperrt werden können.

Mokre: Also werden die Server dort aufgestellt, wo nichts geregelt ist - und wir haben vom österreichischen Copy- oder Urheberrecht gar nichts. Dann wird man auf die Nutzerinnen und Nutzer zugreifen. Deshalb finde ich "Kunst hat Recht" bedauerlich. Es ist ein Schritt in die falsche Richtung!

Dürrer: Natürlich wollen wir kein System, in dem die privaten Downloads kontrolliert werden können. Es geht darum, die Grundrechte der Künstler, das geistige Eigentum zu wahren und zu honorieren.

Neuwirth: Es gibt eine unmissverständliche Deklaration, wonach die User nicht kriminalisiert werden. Die private Nutzung soll ja weiterhin außer Zweifel stehen. Aber die unberechtigten gewerblichen Anbieter, die mit dem Gratisangebot unserer Arbeiten Werbeeinnahmen lukrieren, die sollen unterbunden werden. Ich bin dafür offen, wenn die Gesellschaft neue Modelle entwickelt, aber nicht auf Kosten der Kunstschaffenden.

Mokre: Entweder man sagt, das Recht ist in Stein gemeißelt, und wendet alles technisch Mögliche an, um es umzusetzen. Das hieße sehr viel Kontrolle. Oder man sagt, Gesetze sollen sich gesellschaftlichen Entwicklungen anpassen, und überlegt, wie man künstlerische Leistungen honorieren kann, ohne andere Rechte und private Freiräume zu verletzen. Und ohne viel Geld in die Kriminalisierung von Menschen zu stecken.

Huber: Ich vergleiche das Internet gern mit dem Straßenverkehr: Wer die Autobahn benutzen will, muss eine Vignette kaufen. Beim Internet als öffentlichem freiem Forum müsste man, ähnlich wie im Verkehrswesen, Regelungen einführen.

STANDARD: Also Flatrate, Festplattenpauschale, Leermedienabgabe?

Becker: Bigott ist nur, dass die Flatrate, also Abgaben auf Internetanschluss, gefordert wird, zugleich aber Tauschmöglichkeiten kriminalisiert werden. Unbestritten ist, dass Geld her muss. Fraglich ist, wie es verwendet wird. Ich habe kein gutes Gefühl, wenn eine Leermedienabgabe an Industrielobbyisten und Verwertungsgesellschaften übergeben wird. Courtney Love sagt, die einzigen Piraten, die sie kennt, sind ihre Musikfirmen.

Neuwirth: Bei der Reprografieabgabe wurden Computer bisher nicht berücksichtigt. Das kann mit der Festplattenabgabe korrigiert werden. Wer etwas konsumieren will, muss dazu beitragen, dass es entstehen kann: Das gilt fürs Internet wie fürs Theater. Ich weiß, ich bin retro, aber man kann in Bibliotheken Bücher ausborgen.

Becker: Nach heutigem Maßstab würde es gar keine geben! Die Rechteverwerter haben sich vor 200 Jahren heftigst dagegen gewehrt, weil sie nicht kapiert haben, dass mehr Bücher verkauft werden, wenn es Bibliotheken gibt.

Neuwirth: Es ist höchste Zeit, Modelle zu entwickeln, um den veränderten Gegebenheiten Rechnung zu tragen. Die Deklaration von "Kunst hat Recht" ist im Internet nachzulesen und kann zitiert werden. Frei. (Andrea Schurian, DER STANDARD, 23.4.2012)