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Ein Grund zur Freude und speziellen Begrüßung: Robinson (Joachim Meyerhoff) trifft erstmals nach 24 Jahren auf einen Menschen und nennt ihn Freitag (Ignaz Kirchner, re.)

Foto: APA/Techt

Wien - Es ist gar nicht abwegig, das Burgtheater - zumindest von innen - als ein mächtiges Schiff zu betrachten. Man räumt in dessen Bauch die Hälfte der Parkettbestuhlung hinaus, lässt knarzende Geräusche in Dolby-Surround durch die Logen wandern und taucht die goldenen Wände in dunkel-blitzendes Licht, dass es einen gruselt. Und wer bei diesen für Publikumsräume ungewöhnlichen Zuständen auch noch genau auf Joachim Meyerhoffs Erzählung horcht, der hat in Gedanken schon den nahen Untergang auf hoher See vor Augen.

Auf jenen Moment, in dem das von Robinson Crusoe angeführte Sklavenschiff in karibischen Gewässern dann sinken wird, wird im Ringtheater aber gar recht lange hingearbeitet. Als Ich-Erzähler mit Dreizackhut und Pumphose macht Meyerhoff - neben Ignaz Kirchner als Robinsons Vater - zunächst mit der Familiengeschichte des deutsch-schottischen Abenteurers vertraut. Von seines Vaters Vorliebe zum Kaufmannsberuf bis hin zur Schreibung seines Namens: Robinson Crusoe, das sind eigentlich zwei, später verenglischte Nachnamen - Robinson und Kreutznaer.

Aber dann macht es einen Knall, und Meyerhoff ist splitternackt in den verbliebenen Stuhlreihen gestrandet. Diesen sitzt das Publikum auf einer in den Zuschauerraum verlängerten Tribüne auf der eigentlichen Bühne gegenüber. Und von da an beginnt die von Robinson im Namen der Zivilisierung vorgenommene Zerlegung des großen Saals - unter besonderer Berücksichtigung des Denkmalschutzes (Bühne: Stéphane Laimé). Das macht Spaß, ohne allzu kulinarisch zu sein.

Kannibalismus austreiben

Das Konzept hat Hand und Fuß. Es verfolgt die glorreiche Idee, die Überlebenskämpfe des weltberühmten Schiffbrüchigen auf schwieriges Gelände zu verfrachten. Anstatt ein grün wucherndes Eiland auf die Bühne zu stellen, hat Regisseur Jan Bosse den Zuschauerraum als "Brache" dieser Welterschaffung ins Auge gefasst. Hier wird zunächst mit der Draperie eines Menschen Scham bedeckt. Es ist ein Mann (Meyerhoff), der in der Folge Sessellehnen als Waffe gebraucht, der sich mit umgedrehtem Glasluster in der Festloge zum Gouverneur krönt und dann seinem zugelaufenen Diener Freitag (in grandios gleichmütiger Attitüde: Ignaz Kirchner) mit zwei gekreuzten Holzbalken das Christentum aufschwatzt - nachdem er ihm den Kannibalismus ausgetrieben hat.

Eingefleischte Robinson Crusoe-Fans könnte der Abend allerdings enttäuschen, immerhin wird der Roman (1719) von Daniel Defoe, um dessen Rehabilitierung aus dem Unterhaltungsgenre man sich stets bemüht hat, ganz von Theater-affinen Inhalten unterminiert. Lehrt Robinson seinen Zögling im Original die englische Sprache, so sind es hier die wichtigsten Sätze, die man zum Überleben im Theater braucht. Etwa: "Hat das eine Pause?"

Das Verhältnis zwischen Herr und Knecht bemisst sich auch an der Sitzplatzvergabe. Während Robinson den Sonnenuntergang aus der ersten Reihe fußfrei genießt, wird Freitag nach hinten in den Stehplatzbereich abgeschoben. Auch die Gesetze der Insel betreffen vorwiegend Lärmschutz und feuerpolizeiliche Bestimmungen. Das Motiv der Zivilisierung und des Systemaufbaus bleibt also innerhalb des Theaterkontexts und gipfelt in Robinsons Ausruf: "Das hab' alles ich gebaut! Das ist Hochkultur!"

Nach dem etwas langen Erzähltheater-Intro, eine Domäne Meyerhoffs, geht der Abend über in ein tatsächlich abenteuerliches Schauspiel samt akrobatischen Manövern und ungewöhnlichem Objekttheater. Neben Oberlehrer Robinson entwirft Ignaz Kirchner als Freitag in einer bunten Fantasiemontur (Kostüme: Kathrin Plath) eine Glanznummer an archaischer Grazie. Niemand trägt einen Hasenfellhut so, wie Ignaz Kirchner das tut. Er ist ein ganz großer, kluger Diener seiner Zunft.   (Margarete Affenzeller, DER STANDARD, 23.4.2012)