Wien - Türkische Staatsbürger könnten künftig von diversen Verschärfungen des Fremdenrechts ausgenommen werden. Das legen Entscheide des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und des Verwaltungsgerichtshofs (VwGH) nahe, die am Montag von Grünen-Menschenrechtssprecherin Alev Korun und dem Anwalt Helmut Blum in einem Pressegespräch präsentiert wurden. Demnach müssten Türken mit österreichischem Ehepartner etwa die Integrationsvereinbarung mit den verpflichtenden Sprachtests nicht absolvieren.

Das Innenministerium hat betont, dass den Entscheidungen von EuGH und VwGH Folge geleistet wird. Die Entscheide seien "sehr eindeutig", erklärte Ministeriumssprecher Karlheinz Grundböck. Damit sind künftig Türken, die mit Österreichern verheiratet sind, von Maßnahmen wie "Deutsch vor Zuzug" und der "Integrationsvereinbarung" befreit. Im Vorjahr wären davon 765 Personen betroffen gewesen. Eine rechtliche Änderung hält das Innenministerium nicht für nötig. Umgesetzt werden müssten die Entscheide im Vollzug.

Gesetzeslage

Ins Rollen gebracht hatte den Fall Murat Dereci, ein türkischer Staatsbürger, der im Jahr 2001 in Österreich um Asyl angesucht hatte. Während seines Aufenthalts heiratete er eine österreichische Staatsbürgerin und wurde Vater von drei Kindern. Als er in der Folge einen regulären Aufenthaltstitel erlangen wollte, wurde Dereci wegen der mittlerweile verschärften Gesetzeslage aufgefordert, das Land zu verlassen und von der Türkei aus seinen Antrag als Familienangehöriger zu stellen und dort den Entscheid abzuwarten.

Weitreichende Konsequenzen möglich

Dagegen zog Dereci bis vor den Verwaltungsgerichtshof, der sich wiederum an den EuGH wandte. Dieser fällte im November vergangenen Jahres ein Urteil, das weitreichende Konsequenzen haben könnte. Denn die europäischen Richter verwiesen auf ein bereits lange bestehendes Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Türkei, das besagt, dass sämtliche Verschärfungen des Fremdenrechts seit Österreichs EU-Beitritt im Jahr 1995 nicht anzuwenden sind.

Der VwGH schloss sich im Jänner dieser Rechtsmeinung an und entschied für Dereci. Mittlerweile gibt es laut Anwalt Blum auch entsprechende Folgeurteile in anderen Fällen. Damit sei klargestellt, dass zumindest für Türken, die mit österreichischen Staatsbürgern verheiratet sind, keine Verschlechterungen gegenüber den fremdenrechtlichen Regelungen des Jahres 1995 möglich sind. Betroffen sein dürften durch das Assoziierungsabkommen aber auch andere Gruppen, etwa über einen längeren Zeitraum in Österreich legal beschäftigte Personen aus der Türkei.

Verschärfungen können nicht angewandt werden

Konkret bedeutet das für diese Gruppen, dass diverse, vor allem seit der Jahrtausendwende vollzogene Verschärfungen des Fremdenrechts nicht angewandt werden dürfen. Das beginnt bei der Integrationsvereinbarung, die gewisse Deutschkenntnisse voraussetzt, und reicht über die Vorgabe, ein Basiswissen in Deutsch schon vor dem Zuzug vorweisen zu können, bis zu dem Passus, dass man erst ab dem 21. Lebensjahr (früher 18.) einen Antrag auf Familienzusammenführung stellen kann.

Für Grünen-Mandatarin Korun ist nun das Innenministerium gefordert, rasch eine Klärung der Rechtslage vorzunehmen. Gleichzeitig sollte Ressortchefin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) die Gelegenheit nützen, den Kurs der ständigen Verschärfungen im Fremdenrecht zu beenden und stattdessen die größte Integrationsoffensive der Zweiten Republik zu starten - und das ohne Zwangsmaßnahmen. (APA, 23.4.2012)