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Die Gemeinschaft ist beim Seniorengedächtnistraining wichtig. Die Freude am Denken soll im Vordergrund stehen. (Symbolbild)

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Der Fußballmanager Rudi Aussauer hat sich öffentlich zu seiner Alzheimer-Erkrankung bekannt. In seiner Autobiografie "Wie ausgewechselt" schreibt er über seine Krankheit.

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Mitte 2008 wurde bekannt, dass die ehemalige britische Premierministerin Margaret Thatcher unter fortgeschrittener Demenz leidet. Ihre Tochter Carol thematisierte die Erkrankung der "Eisernen Lady" in dem Buch "A Swim-on Part in the Goldfish Bowl".

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Aufgeregt wuseln die alten Damen in den Veranstaltungsraum. Es ist kurz vor neun, gleich beginnt das wöchentliche Gedächtnistraining. Die Damen lassen keine Zeit unnötig verstreichen. Noch bevor die Stunde begonnen hat, zücken sie ihre Hausaufgabe der vergangenen Woche. 

"48?! Nein, so viele hab ich nicht gefunden." - "Ich such immer noch." Die Hausübung sorgt für Aufregung unter den Damen. In einem Text sollte die Silbe "ei" gezählt werden - mit offenbar unterschiedlichen Ergebnissen.

Doppelt so viele Demenzerkrankungen bis 2030

Das Gedächtnistraining im Seniorenheim Wohnpark Fortuna in Wien-Döbling ist in erster Linie Übung, aber auch Beschäftigung für die Bewohner. Catherina Stanek-Sittner leitet seit drei Jahren den Kurs. Sie möchte Freude am Denken vermitteln und erhalten. Die Schülerinnen sollen gefordert, aber nicht überfordert werden. Das Rätseln in der Gemeinschaft hilft ihnen, geistig fit zu bleiben. Wichtig ist die Gemeinschaft vor allem für die schwächeren Teilnehmerinnen.

Man müsse sich bewusst sein, dass kognitives Training - so der Fachausdruck - Demenz weder vorbeugen noch heilen kann, sagt Stanek-Sittner. Erst kürzlich veröffentlichte die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) Zahlen, wonach sich Demenzerkrankungen bis 2030 weltweit verdoppeln werden. Eine deutsche Studie aus dem Jahr 2011 ist zu dem Schluss gekommen, dass jeder dritte Mann und jede zweite Frau im Lauf des Lebens damit rechnen muss, an Demenz zu erkranken.

Es gibt verschiedene Formen und Verläufe der Erkrankung, Alzheimer ist eine davon. Es beeinträchtigt nicht nur die Merkfähigkeit der Menschen, auch einfache körperliche Tätigkeiten können eine schwierige Herausforderung sein, etwa sich eigenständig anzuziehen oder Stiegen zu steigen.

Osterhase, Osterei, Osterlamm

"Bei uns ist Einsagen erlaubt", sagt Stanek-Sittner. Die 15 adrett gekleideten und perfekt frisierten Damen sitzen schon auf ihren angestammten Plätzen und stürzen sich mit Eifer auf die Übungen. Im Programm von Stanek-Sittner geht es nicht nur darum, das Gehirn mit Merkübungen zu trainieren, auch Koordinationsübungen und Übungen zur Konzentration und Wortfindung gehören dazu, quasi zum Aufwärmen. Die Koordinationsübung - auf die Brust klopfen und gleichzeitig kreisförmig über den Bauch streichen - stellt den Beginn des Kurses dar. Nach einer Runde Klatschübungen geht es los.

Diese Woche beschäftigt sich die Runde noch mit Ostern. Zusammengesetze Hauptwörter zum Thema werden gesucht. Über Osterhase, Osterei und Osterlamm kommen die Pensionistinnen schnell hinaus. Das Wort "Osterparade" fällt. "Die gibt es doch nur in Amerika", protestiert eine alte Dame. "Wir sind ja alle fernsehgebildet", kontert eine andere. 

Die Gemeinschaft und das gemeinsame Tüfteln sind den Damen viel wert. "Es macht mir so viel Spaß, weil es eine so nette Gruppe ist", sagt eine Bewohnerin. Die zierliche alte Dame besucht den Kurs schon seit drei Jahren. Regelmäßig, versteht sich. Die Hausübungszettel nimmt sie gleich zweimal, eine Kopie gibt sie ihrer Enkelin.

"Es geht um Erfolgserlebnisse"

Stanek-Sittner hat einen Abschluss in Psychologie. Seit fünf Jahren arbeitet sie auch als Gedächtnistrainerin, vor allem mit Senioren. Obwohl mit Gedächtnistraining Demenz nicht geheilt werden kann, gilt es als Demenztherapie. "Es geht um Erfolgserlebnisse", erklärt Stanek-Sittner. In Einzeltherapien und Kleingruppen hat sie auch andere Patienten mit der Diagnose Demenz. "Ich schaue, was sie können, nicht, was sie nicht können", erklärt die dreifache Mutter.

Alltagsorientierung und Biografiearbeit stehen dann auf dem Programm. Den geistigen Abbau könne man verlangsamen, aber nicht aufhalten, sagt die Trainerin. Einer ihrer Patienten war Lehrer, er ist gut im Kopfrechnen - wenn sie mit ihm Rechnen übt, motiviert ihn das und verschafft ihm das notwendige Erfolgserlebnis. 

Bei der nächsten Übung sind Alliterationen gefragt. "Anton und Anna suchen ihr Osternest hinter dem Apfelbaum" - "Berta und Bianca suchen ihr Osternest unter dem Bett", steigt die Sitznachbarin ein, und so geht es im Kreis weiter. Selbst bei Q, X und Y fallen der Runde Namen ein.

Eingeschränktes Kurzzeitgedächtnis

Dass im Alter das Kurzzeitgedächtnis nachlassen kann, ist kein Geheimnis. In der Familie fällt Demenz meist zuallererst durch gesteigerte Vergesslichkeit auf. Dann folgen Schwierigkeiten bei alltäglichen Handlungen, auch Persönlichkeitsveränderungen gehören zum Krankheitsbild.

Die ehemalige britische Premierministerin Magaret Thatcher und der deutsche Fußballmanager Rudi Assauer sind prominente Beispiele von Demenzerkrankungen. Assauer hat sogar ein Buch über seine Alzheimer-Erkrankung geschrieben. Bei Demenzkranken ist die Fähigkeit, sich etwas zu merken, stark eingeschränkt, das Kurzzeitgedächtnis ist beeinträchtigt. Das Gedächtnis aufzubauen oder zu verbessern ist so gut wie unmöglich. Man könne auch den Krankheitsverlauf nicht aufhalten, aber eben hinauszögern und verschiedene Symptome durch Stärkung des Gedächtnisses kompensieren, sagt Stanek-Sittner. 

"Nie-Ohne-Seife-Waschen"

Die Kursleiterin freut sich, wenn über die Stunde hinaus an Aufgaben getüftelt wird. Es ist eine kleine Gemeinschaft, fast so wie in der Schule. Die Damen helfen sich gegenseitig, manchmal schreiben sie voneinander ab - und sie kommen gerne.

Kognitives Training funktioniert mit verschiedenen Methoden. Fühlübungen, Übungen zur Wahrnehmung, zur Merkfähigkeit, zur Wortfindung und zur Konzentration stellen die Grundpfeiler dar und sind an der Struktur des menschlichen Gehirns ausgerichtet, das nach dem Drei-Speicher-Modell arbeitet. Es gibt den sensorischen Speicher, das Kurzzeitgedächtnis, das als Arbeitsspeicher fungiert, und das Langzeitgedächtnis. Im Kurzzeitgedächtnis können wir sieben Begriffe parken. Gedächtnistraining zielt aber darauf ab, dass wir uns 15 Begriffe oder mehr merken. Assoziationen sollen dabei helfen, einen Begriff "merkwürdig" zu machen, auch wenn die Verknüpfung abstrus ist. "'Mit Nie-Ohne-Seife-Waschen hat wahrscheinlich jeder die Himmelsrichtungen gelernt", sagt die Psychologin lachend. Das Gehirn kann Bilder besser verarbeiten und länger behalten.

Für ihre Seniorengruppe kommt diese Technik nicht in Frage. Alte Leute wollen Rätsel und Spiele, nur die wenigsten wollen neue Merkmethoden kennenlernen. Für sie bastelt die Gedächtnistrainerin dann Karten mit Anagrammen und denkt sich Hausübungen aus, bei denen Einsagen ausdrücklich erlaubt ist. (Marie-Theres Egyed, derStandard.at, 26.4.2012)