Dass es mit der Politik, wie wir sie in den letzten Jahrzehnten gewohnt waren, bergab geht, muss niemanden verstören, erstehen dem Land doch Retter in Gestalt von Piraten. Im katholischen Paralleluniversum, das auch schon einmal bessere Tage gesehen hat, erfüllt eine Pfarrerinitiative mit ihrem "Aufruf zum Ungehorsam" diese Rolle, ohne bisher mehr bewirkt zu haben, als dass laut "Salzburger Nachrichten" "die katholische Kirche in Österreich wieder auf dem Radar des Vatikans ist". Da hat es der Pirat, der neulich den Innsbrucker Gemeinderat enterte, um dort als Fluch der Kommunalpolitik zu wirken, weiter gebracht, nämlich auf den Radar von Conny Bischofberger in der "Krone" vom Sonntag. "Er lebt von Sozialhilfe, raucht ab und zu einen Joint und entert als erster Pirat einen Gemeinderat, wird er da vorgestellt. Ein bisschen erfüllt das den Innsbrucker schon mit Genugtuung."

Wen, wenn nicht ihn? Unterscheiden er und seinesgleichen sich von den politischen Inserenten des Blattes doch grundlegend. "Die Piraten wollen ein neues politisches System etablieren. Sie sind für gerechte Demokratie, für Transparenz und Freiheit. Dabei vertrauen sie auf Schwarmintelligenz." So wie es mit der "Schwarmintelligenz" der Koalitionsparteien seit längerem aussieht, könnten die Piraten erfolgreich sein, wissen sie doch ganz genau, was sie meinen. "Ich vergleiche Schwarmintelligenz gerne mit dem Publikumsjoker bei der " Millionenshow". Der Publikumsjoker liegt praktisch nie daneben."

Statt obstinat an Überholtem zu hängen, sollte nach Meinung vieler auch die katholische Kirche die Gottesgabe der "Schwarmintelligenz" höher schätzen. "82 Prozent sind dafür: Pfarrer dürfen Sex haben," verkündete der "Krone"-Ableger "Heute" ein "überraschendes Umfrageergebnis: Mehrheit der Österreicher gegen Zölibat. Zum Vergleich: Vor drei Jahren störte nur 33 Prozent der Katholiken die Zwangs-Ehelosigkeit von Priestern." Angeheizt wurde diese rasante Zunahme an laizistischer "Schwarmintelligenz" von einer "mittelmäßig bekannten Soubrette", die in "News" ex cathedra et Swimmingpool verkündete: "Priester brauchen Sex", da ein solcher "eben nicht nur ein ferngesteuertes Wesen ist, sondern ein Mann, keine Maschine".

"Laut der italienischen Tageszeitung 'La Stampa'", so "Heute", "gilt Österreich im Vatikan in dieser Frage als "besonders verrufen". Österreichs Ruf im Vatikan kümmert hiesige Kirchenpiraten aber wenig. Sie liebäugeln mit dem "Publikumsjoker". So forderte ein "Katholizismus-Experte: "Wenn jemand Priester werden und gleichzeitig eine Frau haben möchte, sollte das möglich sein." "Jeder Priester könnte dann mit offenen Karten spielen", vorausgesetzt, der Kardinal nimmt es auf seine Kappe. Dessen Ringen mit der "Schwarmintelligenz" in "News" erinnert an das politische Ringen um den Diplomatenpass. "Gerade jetzt, wo uns weisgemacht wird, dass der Sex stärker ist als der Mensch, wollten wir dieses Zeichen, dass das Ringen um Keuschheit zumutbar und wertvoll ist, nicht aufgeben. So wie wir nicht aufhören werden, die Ehe hochzuhalten - auch wenn der Ehebruch grassiert." Die Fernsteuerung funktioniert!

Wenn der Vatikan nun "Ordnungsrufe" gegen Österreich erschallen lässt, was sagt er dann erst zum katholischen Spanien, wo sich der König die Hüfte verrenkt hat - ob bei der Jagd auf Elefanten oder doch eher beim "Ringen um Keuschheit" harrt noch der Klärung. Eher Letzteres, glaubt man der "Adels-Expertin Lisbeth Bischof", die in "Österreich" enthüllte: "Er hatte über 1.500 Geliebte". Letzter Name, der die Registerarie dieses Don Juan Carlos zum Überlaufen brachte, ist eine gewisse Corinna Sayn-Wittgenstein, und jetzt heißt es in Spanien Sayn oder Nicht Sayn: "Juan Carlos hat nun die Wahl zwischen seinen Pflichten und seiner Abdankung", war in "Heute" zu lesen. Säßen noch Habsburger auf Spaniens Thron hätt's das nicht gegeben.

Im Vatikan sollte man froh sein, dass es Österreich gibt, statt ständig herumzunörgeln. Nicht nur der Billamist, der kürzlich mit 94 Jahren "zum 5. Mal Ja sagte" und dieses Hochhalten der Ehe auch noch in "Österreich" avisierte, stützt die These, dass der Flügelschlag eines Schmetterlings im spanischen Königshaus in österreichischen Bäuchen Wind wehen lässt. So enthüllte das Blatt, was der Abgeordnete Stefan Petzner auf Twitter gestand. "Merk grad: Es ist verdammt schwer, mit Schmetterlingen im Bauch U-Ausschuss-Akten zu lesen;-)))". So wird zwischen Arbeitsleid und Liebesfreud um politische Keuschheit gerungen. (Günter Traxler, DER STANDARD, 24.4.2012)